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105 - Das indische Tuch

105 - Das indische Tuch

Titel: 105 - Das indische Tuch
Autoren: Edgar Wallace
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ein Ende zu machen? Erst Studd – dann Amersham – und nun der arme Brooks!«
    Tanner schüttelte den Kopf. »Sie urteilen ein wenig zu früh – Brooks ist nicht tot.«
    »So? Es hat mir aber doch jemand gesagt, daß er tot wäre … Nun, dann freue ich mich. Er ist wirklich kein schlechter Mensch. Aber denken Sie nicht auch wie ich? Diese ganze Familie sollte ausgerottet werden!«
    »Ich verstehe nicht recht, wie Sie das meinen.«
    Lebanon bewegte sich unruhig in seinem Sessel.
    »Die Geschichte geht nun schon seit vielen Jahren. Die Lebanons waren immer so – wußten Sie das nicht?«
    Er sprach leise und vertraulich weiter.
    »Mein Vater war auch so … fünfzehn Jahre hat er im Zimmer des alten Lords gelebt – er war vollständig verrückt und hatte den Verstand verloren!« Willie Lebanon lachte vor sich hin. »Und die beiden Amerikaner mußten nach ihm sehen – sie waren seine Wärter!«
    »Das habe ich vermutet!«
    Lord Lebanon stützte den Kopf in die Hand.
    »Aber niemals hat er einen Menschen erwürgt!« Seine Stimme zitterte vor Erregung und Stolz. »Der alte Lord war immer eine Gefahr, aber heimlich hinter jemand herschleichen und ihm die Kehle zuschnüren – das konnte er nicht!«
    Langsam wandte sich der Lord Tanner zu.
    »Mein Vater ist tot – das wissen Sie. Er war wirklich vollkommen wahnsinnig. Habe ich Ihnen nicht vorhin erzählt, daß er oben in dem Zimmer wäre? Nun, da habe ich Sie angelogen. Ich kann nämlich sehr leicht lügen. Ich habe eine unglaubliche Erfindungsgabe und kann schnell handeln. Ich hörte doch, wie Sie sagten: ›Das war schnelle Arbeit!‹« Er lachte unheimlich auf. »In Puna habe ich das erstemal beobachtet, wie es gemacht wird. Ich sah, wie ein kleiner, schmutziger Kerl plötzlich hinter einem großen, kräftigen Mann herschlich und ihm ein Tuch um den Hals warf. Gleich darauf war der andere tot. Es war einfach toll!«
    Tanner sagte nichts.
    »Ich habe es dann an einem jungen Mädchen versucht, einer Eingeborenen. Die war auch im Handumdrehen erledigt.« Er schnappte mit den Fingern, und seine Augen leuchteten auf.
    Das war also das Geheimnis von Marks Priory. Tanner ahnte es seit einiger Zeit. Dieser junge Lord hatte die ganze Welt hinters Licht geführt, hatte den Polizeibeamten Sand in die Augen gestreut und alle Menschen getäuscht. Nur seine eigene Mutter wußte alles. Sie litt schwer darunter, setzte aber alles daran, ihn zu beschützen – den Letzten der Lebanons.
    »Es ist merkwürdig, wie schnell Menschen sterben können.«
    Willie steckte die Hand in die Tasche seines Morgenrocks, zog ein langes rotes Seidentuch heraus und lachte vor Vergnügen, als er es ansah.
    »Schauen Sie einmal her. Ich habe eine ganze Menge von diesen Tüchern aus Indien mitgebracht. Amersham hat mir einmal einige fortgenommen, aber er wußte nicht, wo ich die anderen aufbewahrte. Sie sind erstaunt? Ich bin nicht gerade groß, aber ich habe unheimliche Kräfte. Fühlen Sie einmal meine Muskeln.«
    Er bog den Arm, und Tanner umspannte den oberen Teil. Niemals hätte er geglaubt, daß Willie Lebanon so stark sein könnte.
    »Mir hat es furchtbar viel Spaß gemacht«, fuhr Willie fort.
    »Die Leute sagten immer: ›Ach, seht doch mal den schwächlichen jungen Kerl!‹«
    Aber dann wurde er wieder ernst und kehrte zu seiner Geschichte zurück.
    »Sie machten damals viel Aufhebens von dem indischen Mädchen. Die Leute beim Regiment trauten es mir gar nicht zu; die wußten nicht, daß ich so viel Kraft besaß, und als es herauskam, war es eine Überraschung für sie.«
    »Ist es dasselbe Mädchen, von dem Sie mir in Scotland Yard erzählten?«
    Der junge Lord lachte.
    »Ja. Amersham hätte nie den Mut gehabt, das zu tun. Ich habe Sie damals nur aufgezogen, ich wollte Sie hinters Licht führen. Das hat mir von jeher das größte Vergnügen bereitet.«
    »Die Sache wirbelte also damals viel Staub auf?« fragte Tanner.
    Er sprach so ruhig, daß man hätte glauben können, die beiden unterhielten sich über ein alltägliches Thema. Auf diese Enthüllung hatte er schon den ganzen Abend gewartet und deshalb seine beiden Assistenten fortgeschickt. Er wußte, daß Lord Lebanon in ihrer Gegenwart nichts gesagt hätte. Nur unter vier Augen würde ihm der junge Mann die Wahrheit anvertrauen.
    »Ja, es gab einen unheimlichen Krach. Meine Mutter schickte Amersham nach Indien, damit er mich nach Hause bringen sollte. Er war ein ganz gemeiner Kerl, ein Mensch, der eigentlich nichts mit unserer Familie
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