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1040 - Madonna auf dem Höllenthron

1040 - Madonna auf dem Höllenthron

Titel: 1040 - Madonna auf dem Höllenthron
Autoren: Jason Dark
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anderen Mundes. Des ursprünglichen. Alles wies darauf hin, daß dieser neue, herzförmige Mund, der gar nicht zu dem Gesicht passen wollte, später übergemalt worden war. Der alte Mund paßte viel besser zu dem Gesicht. Da hatten sich die Lippen in die Länge gezogen, und sie waren auch nicht so voll, sondern dünner.
    Julia stellte sich nicht die Frage, warum der ursprüngliche Mund übergemalt worden war, sie nahm es erst einmal hin. So etwas war nicht außergewöhnlich. Hin und wieder fanden ihre Kollegen unter den sichtbaren Bildern diejenigen, die dann übergemalt worden waren, aus welchen Gründen auch immer.
    Seit dieser Entdeckung war auch ihre Furcht verschwunden. Jetzt spürte sie einzig und allein ihre Aufregung. Es war wieder spannend geworden.
    Während sie sich mit dem Freilegen des ersten Mundes beschäftigte, glitten ihre Gedanken schon weiter weg. Sie fragte sich, was dieses Bild wohl noch alles verdeckte.
    Sie mußte ihre Hände trocknen. Sie waren schwitzig geworden. Julia vergaß die Zeit. Sie arbeitete ruhig und ungemein konzentriert, denn dieses Geheimnis wollte sie lüften. Und nicht erst morgen, sondern noch an diesem Abend oder in dieser Nacht. Danach würde sie hoffentlich schlauer sein.
    Der zweite Herzmund verschwand immer mehr. Dafür trat der originale immer deutlicher hervor. Er war auch nicht so geschlossen, das sah sie jetzt, und die Lippen wiesen eine andere Farbe auf, über die Julia sich wunderte.
    Eine normale Lippenfarbe war es nicht. Dazu schimmerten sie zu dunkel.
    In einer Farbmischung zwischen Rot und Braun. Ein bestimmter Vergleich drückte sich in Julias Kopf. Mit Farben kannte sie sich zwangsläufig aus. Diese hier erinnerte sie an altes, geronnenes Blut.
    Blut auf Frauenlippen!
    Keine scharfen Konturen, denn dieses Blut zeigte sich um den Mund herum verschmiert. Als hätte jemand mit dem Handrücken darüber gewischt und es nicht richtig wegbekommen.
    Die Unterlippte hatte Julia freigelegt. Jetzt nahm sie sich die Oberlippe vor.
    Und wieder bekam sie Furcht.
    Das Gefühl der Spannung war verschwunden. Etwas anderes drängte sich in die Höhe, und das Frösteln fraß sich auf ihrer Haut fest. Sie hatte Mühe, das Zittern der rechten Hand zu unterdrücken, legte sogar eine kleine Pause ein und machte danach sehr vorsichtig weiter.
    Es entstand nur ein leises Kratzen. Julia kannte es. Nur kam es ihr in dieser Lage viel lauter vor und sorgte auch weiterhin für eine Gänsehaut auf ihrem Rücken.
    Immer mehr legte sie frei. Sie sah, daß der Maler bei dieser Frau einen offenen Mund hinterlassen hatte. Sogar die obere Zahnreihe war zu sehen. Etwas unregelmäßig, leicht gelblich schimmernd, doch das störte Julia überhaupt nicht.
    Etwas anderes war viel wichtiger, und das ließ ihr Herz schnell und überlaut schlagen. Sie fühlte sich zugleich wie in einem Taumel gefangen und stöhnte leise auf.
    Die Hand mit dem Messer schwebte jetzt fingerbreit über dem Gemälde.
    In Julias Kopf summte es. Die Furcht kehrte wieder zurück. Jetzt aber gab es einen Grund.
    Es hing mit dem Mund zusammen.
    Er selbst war normal.
    Auch die Zähne.
    Bis auf zwei Ausnahmen.
    Aus dem Oberkiefer hervor ragten zwei längere nach unten, die an den Enden spitz zuliefen, um kräftig in etwas hineinbeißen oder auch stoßen zu können.
    Julia Ross wußte Bescheid.
    Die Frau war nicht als Mensch gemalt worden, sondern als ein weiblicher Vampir…
    ***
    Etwas zischte, als hätte eine der an der Wand entlanglaufenden und freiliegenden Leitungen ein kleines Loch bekommen. Dieses Geräusch war nicht durch ein Leck in der Leitung gedrungen, sondern aus dem Mund der Restauratorin. So hatte sie ihrer Überraschung und auch dem Entsetzen freie Bahn gelassen.
    Diesmal trat das ein, was ihr sonst nicht passieren durfte. Das gesamte Bild verschwamm vor ihren Augen, als wäre jemand dabei, die Konturen wegzuwischen.
    Wasser war in ihre Augen getreten, und in ihrem Kopf spürte sie einen selten erlebten Druck. Julia ging bis zu einem dreibeinigen Schemel zurück und ließ sich darauf nieder.
    Dort atmete sie tief durch. Dann legte sie ihre Handflächen gegen die Wangen, schaute auf das Bild und mußte dabei den Kopf leicht anheben, um die schrägliegende Leinwand sehen zu können. Sie wußte nicht, was sie denken sollte. In ihrem Kopf herrschte ein zu großes Durcheinander, das erst geordnet werden mußte.
    Das schaffte sie auch, denn Julia Ross gehörte zu den Personen, die es gewohnt waren, sich durchzusetzen und
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