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1 - Wächter der Nacht

1 - Wächter der Nacht

Titel: 1 - Wächter der Nacht
Autoren: Sergej Lukianenko
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dem Pflaster ein violetter Strahl hoch in den Himmel. Der Blitz blendete so, dass ich unwillkürlich die Augen zusammenkniff. Als ich wieder in die Richtung sah, hing im grauen Nebel eine rabenschwarze Blase. Ihr entstieg langsam ein borstiges, beschupptes Etwas, das vage an einen Menschen erinnerte. Sebulon kam durch die zweite oder dritte Schicht des Zwielichts auf den Ruf herbei, wobei im Vergleich zu diesen Schichten die Zeit hier genauso langsam verging wie für uns die Zeit in der Menschwelt.
    Mit einem Mal empfand ich eine Hilflosigkeit, mit der ich mich eigentlich seit langem abgefunden hatte. Die Möglichkeiten, die Sebulon oder Geser so leicht nutzten, waren mir nicht nur verschlossen, sondern gingen weit über meinen Horizont.
    »Sebulon!« Alissa hielt die Hände nach wie vor auf dem Rücken, stürzte dem grauenvollen Monster jetzt aber entgegen. Schmiegte sich an ihn, vergrub das Gesicht in die stacheligen Schuppen. »Hilf mir, hilf mir bitte!«
    Selbstverständlich war Sebulon nicht in Dämonengestalt aufgetaucht, um mich zu beeindrucken. In Menschengestalt hätte er jedoch nicht eine Minute in den tiefen Schichten des Zwielichts überstanden. Und er dürfte mehrere Stunden oder gar Tage dort durchgewandert sein.
    Das Monster bedachte mich mit einem Blick aus seinen schmalen Augen. Aus dem Maul glitt eine lange gespaltene Zunge, die Alissa über den Kopf fuhr und in ihrem Haar Tropfen weißen Geifers hinterließ. Die bekrallte Pfote fasste Alissa unters Kinn und drückte ihren Kopf behutsam nach oben – ihre Blicke trafen sich. Im Nu hatten sie die Informationen ausgetauscht.
    »Idiotin!«, erboste sich der Dämon. Die Zunge schlüpfte zwischen den zuklappenden Fangzähnen hindurch ins Maul zurück, dass er beinahe darauf gebissen hätte. »Du gierige Idiotin!«
    Aha. So viel zu meiner Intervention dritten Grades.
    Der kurze Schwanz des Dämons peitschte gegen A-lissas Beine, zerriss ihr das Seidenkleid, warf sie zu Boden. Die Augen des Monsters loderten, ein hellblaues Leuchten hüllte die Hexe ein, und sie versteinerte.
    Und so viel zur Hilfe für Alissa.
    »Kann ich die Verhaftete abführen, Sebulon?«, fragte ich.
    Das Monster stand da und wippte ganz leicht auf den krummen Pfoten. Die Krallen an den Fingern waren bald eingezogen, bald ausgefahren. Dann machte er einen Schritt und stellte sich zwischen mich und die unbewegliche Frau.
    »Ich bitte darum, die Rechtmäßigkeit der Verhaftung zu bestätigen«, sagte ich. »Ansonsten müsste ich Hilfe hinzuziehen.«
    Der Dämon fing an, sich zu transformieren. Die Proportionen seines Körpers veränderten sich, die Schuppen wuchsen zurück, der Schwanz schrumpfte, der Penis erinnerte nicht länger an einen mit Nägeln besetzten Knüppel. Danach bildete sich die Kleidung Sebulons heraus.
    »Warte, Anton.«
    »Worauf?«
    Das Gesicht des Dunklen Magiers blieb undurchdringlich. Wahrscheinlich hatte er in der Gestalt des Dämons weit mehr Emotionen gehabt. Oder es zumindest für nicht erforderlich gehalten, sie zu verbergen.
    »Ich bekräftige das Versprechen, das Alissa dir gegeben hat.«
    »Was?!«
    »Wenn die Sache nicht offiziell wird. Die Tagwache nimmt irgendeine Intervention bis zum dritten Grad einschließlich von dir in Kauf.«
    Er wirkte absolut ernst.
    Ich schluckte. Ein solches Versprechen vom Oberhaupt der Tagwache zu bekommen …
    »Glaube niemals einem Dunklen!«
    »Jede Intervention bis zum zweiten Grad inklusive.«
    »Hast du solche Angst vor einem Skandal?«, fragte ich. »Oder brauchst du sie für irgendwas?«
    Sebulons Gesicht verkrampfte sich kurz.
    »Ich brauche sie. Ich liebe sie.«
    »Das glaube ich nicht.«
    »Als Oberhaupt der Tagwache Moskaus bitte ich Sie, Wächter Anton, die Angelegenheit friedlich beizulegen. Das ist möglich, denn meine Schutzbefohlene Alissa Donnikowa hat den Menschen keinen nennenswerten Schaden zugefügt. Zum Ausgleich für ihren Versuch« – Sebulon hob das letzte Wort besonders hervor –, »eine Dunkle magische Manipulation dritten Grades vorzunehmen, wird die Tagwache jede Lichte Manipulation bis zum zweiten Grad einschließlich hinnehmen, die du vollziehst. Ich bitte nicht um Geheimhaltung dieses Abkommens. Ich schränke deine Handlungen in keiner Weise ein. Ich unterstreiche, dass die von der Wächterin Alissa begangene Tat streng bestraft werden wird. Möge das Dunkel Zeuge meiner Worte sein.«
    Ein feines, zartes Zittern. Ein unterirdisches Tosen, das Heulen eines heraufziehenden Hurrikans. In der
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