Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
1 - Wächter der Nacht

1 - Wächter der Nacht

Titel: 1 - Wächter der Nacht
Autoren: Sergej Lukianenko
Vom Netzwerk:
gebracht?«
    Er ließ den Blick zum Inquisitor wandern – der den Kopf hob und nickte.
    Sonst ging niemand auf ihn ein.
    Ein schiefes Lächeln breitete sich auf Sebulons Gesicht aus.
    »Was für Kräfte, und dann endet alles mit einer Farce. Nur weil eine hysterische junge Frau ihren unentschlossenen Verehrer nicht aufgeben möchte. Anton, du hast mich enttäuscht. Swetlana, du hast mir eine Freude bereitet. Geser …« Der Dunkle sah den Chef an. »… meinen Glückwunsch zu solchen Mitarbeitern.«
    Hinter Sebulon öffnete sich das Portal. Leise lachend trat er in die schwarze Wolke ein.
    Von der Straße drang ein schwerer Seufzer zu mir herauf. Ich sah nichts, wusste aber, was dort geschah. Einer nach dem andern traten die Dunklen Wächter aus dem Zwielicht. Stürzten zu den in der Nähe des Hauses geparkten Autos, um sie so schnell wie möglich von den Bäumen wegzufahren. Liefen gekrümmt zu den Nachbarhäusern.
    Dann verließen die Lichten Magier die Kette. Einige, um denselben einfachen und verständlichen menschlichen Handlungen nachzugehen. Doch die meisten, das wusste ich, würden bleiben und aufmerksam nach oben sehen, hinauf zum Dach des Hauses. Tigerjunges für alle Fälle mit schuldbewusster Miene. Semjon mit dem finsteren Lächeln eines Anderen, der schon ganz andere Stürme erlebt hatte, Ignat mit dem unweigerlichen aufrichtigen Mitgefühl.
    »Ich konnte das nicht tun«, sagte Swetlana. »Es tut mir Leid, Geser. Ich konnte es nicht.«
    »Du konntest es nicht«, bemerkte ich. »Und brauchtest es auch gar nicht …«
    Ich öffnete die Hand. Sah auf das kleine Kreidestück, das in meinen Händen einfach nur ein feuchtes und klebriges Stück Kreide war. An einer Seite zugespitzt. An der anderen ungleichmäßig abgebrochen.
    »Hast du es schon lange begriffen?«, fragte Geser. Er trat an mich heran, setzte sich zu mir. Sein Schild spannte sich über uns, das Heulen des Orkans verstummte.
    »Nein. Eben erst.«
    »Was geht hier vor?«, schrie Swetlana. »Anton, was passiert hier?«
    »Jeder hat sein Schicksal, mein Mädchen«, antwortete Geser ihr. »Der eine muss fremde Leben lenken oder Imperien zerschlagen. Der andere einfach leben.«
    »Während die Tagwache darauf gewartet hat, dass du den Eintrag vornimmst«, erklärte ich, »hat Olga sich die andere Hälfte der Kreide genommen und das Schicksal von jemandem umgeschrieben. So, wie das Licht es wollte.«
    Geser seufzte. Streckte die Hand aus, berührte Jegor. Der Junge bewegte sich, versuchte aufzustehen.
    »Gleich, gleich«, sagte der Chef zärtlich. »Alles ist vorbei, gleich ist alles aus.«
    Ich nahm den Jungen in den Arm, bettete seinen Kopf auf meine Knie. Er beruhigte sich wieder.
    »Sag, wozu?«, fragte ich. »Wenn du sowieso gewusst hast, was kommt?«
    »Selbst ich kann nicht alles wissen.«
    »Wozu?«
    »Weil alles natürlich wirken musste«, erwiderte Geser leicht gereizt. »Nur so hat Sebulon an den Vorgang geglaubt. Sowohl an unsere Pläne wie auch an unsere Niederlage.«
    »Das ist nicht die ganze Antwort, Geser.« Ich sah ihm in die Augen. »Bei weitem nicht!«
    Der Chef seufzte. »Gut. Ja, ich hätte es auch anders machen können. Swetlana hätte eine Große Zauberin werden können. Entgegen ihrem eigenen Wunsch. Jegor wäre, obwohl die Wache auch so schon in seiner Schuld steht, zu unserem Instrument geworden.«
    Ich wartete. Wollte unbedingt wissen, ob Geser die ganze Wahrheit sagen würde. Wenigstens einmal.
    »Ja, ich hätte es auch so machen können.« Geser seufzte. »Nur, mein Junge … Alles, was ich neben dem großen Kampf zwischen dem Licht und dem Dunkel getan habe, alles, was ich im zwanzigsten Jahrhundert getan habe, war einem einzigen Ziel untergeordnet, selbstverständlich ohne dabei der Sache zu schaden …«
    Mit einem Mal tat er mir Leid. Unerträglich Leid. Vielleicht, weil der Große Magier, der Helllichte Geser, der Vernichter der Ungeheuer und Hüter der Staaten, zum ersten Mal seit tausend Jahren gezwungen war, die volle Wahrheit auszusprechen. Die nicht so beredt und erhaben klang wie die, die er gewöhnlich vertrat.
    »Schon gut, ich weiß es!«, schrie ich.
    Doch der Große Magier schüttelte den Kopf. »Alles, was ich getan habe«, betonte Geser Silbe um Silbe, »war noch einem anderen Ziel untergeordnet. Nämlich die Leitung zu zwingen, Olgas Strafe vollständig aufzuheben. Ihr alle Kräfte zurückzugeben und ihr zu erlauben, die Schicksalskreide erneut in die Hände zu nehmen. Sie muss mir ebenbürtig sein.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher