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1 - Wächter der Nacht

1 - Wächter der Nacht

Titel: 1 - Wächter der Nacht
Autoren: Sergej Lukianenko
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können tausendmal Protest einreichen – die Inquisition wird ohne Zweifel den Umstand berücksichtigen, dass der Junge anfangs unter ihren Taten zu leiden hatte.
    Und Swetlana wird man vermutlich sagen, dass der Misserfolg mit Jegor mich bedrückt. Dass der Junge viel leiden musste, weil die Wache damit beschäftigt war, sie, Swetlana, zu retten.
    Sie wird nicht einmal zögern.
    Wird alles tun, was man von ihr verlangt.
    Die Kreide in die Hand nehmen, ganz gewöhnliche Kreide, mit der man Himmel-und-Hölle auf den Asphalt malt oder »2 + 2 = 4« an die Tafel schreibt.
    Und sie wird das Schicksal zuschneiden, das noch nicht besiegelt ist.
    Was wollen sie aus dem Jungen machen?
    Wen?
    Einen Initiator, Führer, Befehlshaber neuer Parteien und Revolutionen?
    Den Propheten einer Religion, die noch nicht erdacht ist?
    Einen Denker, der eine neue Gesellschaftslehre begründet? Einen Musiker, Dichter oder Schriftsteller, dessen Werk das Bewusstsein von Millionen verändert?
    Wie viele Jahre reicht der bedächtige Plan der Kräfte des Lichts in die Zukunft hinein?
    Gewiss, das Wesen, das einem Anderen von Natur aus gegeben ist, ändert man nicht von Grund auf. Jegor wird ein äußerst schwacher Magier sein. Dank der Intervention der Wache aber immerhin ein Lichter Magier.
    Doch um das Schicksal der Menschenwelt zu verändern, muss man nicht unbedingt ein Anderer sein. Es ist sogar hinderlich. Weit vorteilhafter ist es, auf die Unterstützung der Wache zurückzugreifen und die Menschenmassen hinter sich herzuziehen, die das von uns erfundene Glück so nötig haben.
    Und er wird sie führen. Ich weiß nicht, wie, weiß nicht, wohin, aber er wird es. Nur, dass dann die Dunklen ihrerseits einen Zug machen. Für jeden Präsidenten findet sich ein Killer. Auf jeden Propheten kommen tausend Exegeten, die das Wesen der Religion verdrehen, das lichte Feuer durch die Hitze der Scheiterhaufen der Inquisition ersetzen. Jedes Buch wird irgendwann in die Flammen geworfen, aus Symphonien werden Schlager, die in Kneipen dudeln. Jede Gemeinheit lässt sich auf eine solide philosophische Grundlage stellen.
    Ja, wir haben nichts gelernt. Wahrscheinlich wollten wir das gar nicht.
    Aber wenigstens bleibt mir noch etwas Zeit. Und das Recht auf meinen Zug. Einen einzigen.
    Wenn ich nur wüsste, welchen.
    Swetlana auffordern, Geser zu widersprechen, sich nicht der höchsten Magie zu verschreiben, ein fremdes Schicksal nicht zu korrigieren?
    Warum eigentlich nicht? Im Grunde ist es doch richtig. Die gemachten Fehler korrigieren, einem einzelnen Menschen und der Menschheit insgesamt eine glückliche Zukunft ermöglichen. Von mir würde die Last der begangenen Fehler genommen. Von Swetlana das Bewusstsein, dass ihr Erfolg mit fremdem Leid bezahlt ist. Sie reiht sich unter die Großen Zauberinnen ein. Welchen Preis bin ich bereit, für meine diffusen Zweifel zu zahlen? Und was an ihnen ist echte Sorge, was mein kleiner persönlicher Egoismus? Was ist das Licht, was das Dunkel?
    »He, Freund!«
    Der Händler, neben dessen Tisch ich stand, sah mich an. Nicht sehr böse, aber verärgert. »Willst du was kaufen?«
    »Seh ich wie ein Idiot aus?«, erkundigte ich mich.
    »Total. Entweder kaufst du was, oder du gehst weiter.«
    Irgendwie hatte er Recht. Aber ich hatte Lust, ihm Kontra zu geben. »Du verstehst ja nicht, was du für Glück hast. Ich bilde für dich die Masse, locke Käufer an.«
    Der Händler war ein Original. Dick, mit einem roten Gesicht, gewaltigen Armen, in denen Fett und Muskeln den gleichen Anteil hatten. Er taxierte mich mit festem Blick, fand offenkundig nichts Bedrohliches und wollte schon lospoltern.
    Und lächelte plötzlich.
    »Na, dann bilde mal. Aber ein bisschen aktiver. Tu so, als ob du was kaufen willst. Du kannst mir sogar zum Spaß Geld geben.«
    Das war so seltsam, so unerwartet.
    Ich lächelte zurück. »Möchtest du, dass ich wirklich was kaufe?«
    »Wozu brauchst du das denn, ist doch Touriquatsch.« Der Verkäufer hörte auf zu lächeln, die bisherige angespannte Aggressivität war jedoch ebenfalls aus seinem Gesicht verschwunden. »Eine Teufelshitze, die macht uns alle noch verrückt. Wenn es endlich regnen würde.«
    Ich schaute zum Himmel rauf und zuckte mit den Achseln. Offenbar hatte sich etwas verändert. Etwas hatte sich in dem durchscheinenden Blau des himmlischen Backofens bewegt.
    »Ich glaube, das wird es«, erklärte ich.
    »Wär schön.«
    Wir nickten einander zu, und ich ging weiter, tauchte in den Strom
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