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1 - Wächter der Nacht

1 - Wächter der Nacht

Titel: 1 - Wächter der Nacht
Autoren: Sergej Lukianenko
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Hand Sebulons erschien eine winzige schwarze Kugel, die sich drehte.
    »Du hast das Wort«, sagte Sebulon.
    Ich leckte mir über die Lippen, sah auf die durch einen Zauber gebannte Alissa. Ein Luder, ganz bestimmt. Mit der ich noch eine Rechnung offen hatte.
    Ob ich deshalb die Angelegenheit nicht mit einem Kompromiss regeln wollte? Und keinesfalls deshalb, weil es gefährlich war, sich mit dem Dunkel auf ein Abkommen einzulassen? Alissa hatte versucht, das Kraftprisma zu benutzen, um etwas von der Lebensenergie der Menschen zu trinken. Das ist Magie dritten oder vierten Grades. Ich dürfte eine Manipulation zweiten Grades vornehmen. Was viel ist, sehr viel. Faktisch heißt das eine globale Manipulation! Eine Stadt, in der 24 Stunden lang kein einziges Verbrechen begangen wird. Eine geniale und eindeutig gute Idee. Wie oft in der Geschichte der Nachtwache hätten wir das Recht auf eine Intervention dritten oder vierten Grades gebraucht, es aber nicht gehabt, sodass wir unüberlegt handeln mussten und voller Panik auf den Gegenzug warteten!
    Und nun bot sich die Möglichkeit einer Intervention zweiten Grades, praktisch umsonst.
    »Möge das Licht Zeuge deiner Worte sein«, sagte ich. Und streckte Sebulon die Hand entgegen.
    Noch nie musste ich die Urkräfte als Zeugen anrufen. Ich wusste nur, dass dies keiner besonderen Zauberformeln bedarf. Doch eine Garantie, dass sich das Licht zu uns herabbequemt, gab es kaum.
    In meiner Hand loderte ein Blütenblatt aus weißem Feuer auf.
    Sebulon runzelte die Stirn, zog den Arm jedoch nicht weg. Als wir den Vertrag mit einem Handschlag besiegelten, trafen sich Dunkel und Licht zwischen unseren Handtellern. Ich spürte einen stechenden Schmerz, als ob jemand eine stumpfe Nadel durch mein Fleisch triebe.
    »Der Vertrag ist geschlossen«, sagte der Dunkle Magier.
    Er verzog ebenfalls das Gesicht. Der Schmerz traf auch ihn.
    »Versprichst du dir selbst hiervon einen Vorteil?«, fragte ich.
    »Natürlich. Ich hoffe stets, aus allem einen Vorteil zu ziehen. Meistens gelingt mir das auch.«
    Doch zumindest empfand Sebulon keine pure Freude über das zustande gekommene Abkommen. Was auch immer er sich von unserem Handel versprach, von seinem Erfolg war er nicht vollends überzeugt.
    »Ich habe erfahren, was der Kurier aus dem Orient nach Moskau gebracht hat und wozu.«
    Sebulon deutete ein Lächeln an. »Hervorragend. Die Situation macht mich nervös, und es ist ausgesprochen angenehm zu wissen, dass ich diese Unruhe jetzt mit anderen teile.«
    »Sebulon! Haben die Nacht- und die Tagwache schon jemals zusammengearbeitet? Richtig kooperiert, nicht nur gemeinsam Verbrecher und Psychopathen gefasst?«
    »Nein. Jede Zusammenarbeit bedeutet eine Niederlage für eine der beiden Seiten.«
    »Das werde ich berücksichtigen.«
    »Tu das.«
    Wir verbeugten uns sogar höflich voreinander. Als ob sich hier nicht zwei Magier von gegeneinander kämpfenden Kräften gegenüberstünden, ein Adept des Lichts und ein Diener des Dunkels, sondern zwei Bekannte, die einander durchaus friedlich gesonnen sind.
    Dann trat Sebulon an den unbeweglichen Körper A-lissas heran, hob ihn leicht hoch und warf ihn sich über die Schulter. Ich erwartete, dass sie das Zwielicht verlassen würden, doch stattdessen trat das Oberhaupt der Dunklen, mir ein herablassendes Lächeln schenkend, ins Portal.
    Einen Moment lang zitterte es noch, dann verschwand es. Ich ging in die andere Richtung.
    Erst jetzt wurde mir klar, wie müde ich war. Das Zwielicht liebt es, wenn man in es hineinkommt, aber noch mehr, wenn man dabei die Nerven verliert. Das Zwielicht ist eine unersättliche Schlampe, die sich über jeden freut.
    Ich wählte einen Ort, an dem weniger Menschen waren, und sprang mit einem Ruck aus meinem Schatten.
    Die Augen der vorübergehenden Menschen wandten sich wie üblich zur Seite. Wie oft pro Tag begegnet ihr uns, ihr Menschen … Den Lichten und Dunklen, den Magiern und Tiermenschen, den Hexen und Heilerinnen. Ihr schaut uns an – habt aber kein Recht uns zu sehen. Möge es auch fortan so sein.
    Wir können hundert und tausend Jahre leben. Es ist sehr schwer, uns zu töten. Und die Probleme, die das menschliche Leben bestimmen, sind für uns wie der Missmut, den ein Erstklässler über einen schief in sein Heft gemalten Strich empfindet.
    Alles hat jedoch seine Kehrseite. Ich würde mit euch tauschen, ihr Menschen. Nehmt das Können, Schatten zu sehen und ins Zwielicht einzutreten. Nehmt die Verteidigung der Wache
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