Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0992 - Der Judasbaum

0992 - Der Judasbaum

Titel: 0992 - Der Judasbaum
Autoren: Jason Dark
Vom Netzwerk:
anschaute, grinsen wollte, was ihm nicht gelang. Der Hund rutschte von meinem Körper zur Seite. Ich war froh, sein Gewicht nicht mehr zu spüren.
    »John, verdammt!« keuchte Harry. »Das ist der absolute Wahnsinn gewesen. Okay, ich weiß nichts darüber, aber du bist nicht allein gekommen. Wo ist der andere?«
    Diese Frage sorgte bei mir für einen heftigen Adrenalinstoß, der mich zudem noch in die Höhe schnellen ließ.
    Harry hatte sich nicht geirrt.
    Ich sah den Bischof nicht mehr.
    Der Platz, auf dem er noch bis vor kurzem gesessen hatte, war leer. Dafür hörten wir ihn.
    Er schrie!
    Und dieses Schreie erinnerten mich an die Verzweiflung eines Todgeweihten…
    ***
    Harry und ich waren durch die schrecklichen Laute geschockt worden, möglicherweise auch der Hund, denn er bewegte sich zunächst ebenso wenig wie wir.
    Die Schreie waren nicht zu überhören gewesen, nur wußten wir im ersten Moment nicht, aus welcher Richtung sie uns erreichten.
    Wir hockten im Boot, aber wir drehten uns genau richtig, denn der Baum, der Judasbaum, hatte eingegriffen.
    Uns bot sich ein makabres Bild und zugleich ein faszinierendes.
    Harry Stahl war davon derart stark in Mitleidenschaft gezogen worden, daß er seinen Arm ausstreckte und sich an meinem linken Handgelenk festhielt, als könnte ich ihm eine Stütze sein. Dabei schüttelte er den Kopf und flüsterte: »Mit dem Mann ist es vorbei. Der schafft es nicht…«
    Harry hatte recht.
    Ich wußte auch nicht, was ich unternehmen sollte, denn die mächtigen Hände hatten sich gesenkt, und ihr Astwerk mußte sich während ich mich um Harry gekümmert hatte, den ehemaligen Bischof geholt haben, denn Roland Schneider steckte zwischen diesen harten und dennoch biegsamen Ästen fest. Er sah so aus, als würde er es nie schaffen, sich aus eigener Kraft zu befreien.
    Die Äste hielten ihn wie Klauen. Sie hatte sich in seine Schultern, die Hüften und auch in sein Gesicht vergraben, wo er verletzt worden war und Blut aus den Wunden sickerte. Er wurde festgehalten, seine Beine hingen starr nach unten wie ein Klöppel in einer bewegungslosen Glocke.
    Der Anblick hatte mich leicht entsetzt, aber ich sah noch mehr, als mein Blick in die Höhe glitt, hin zu diesen Händen, die sich langsam wieder erhoben. So konnte ich gegen die Handteller schauen und entdeckte dort ein Muster aus Falten und Linien, das sich auf zwei Handflächen verteilte.
    Ein Gesicht?
    Dieser Gedanke ließ mich im ersten Moment die Angst um Roland Schneider vergessen. Ich mußte mich schon sehr anstrengen, um aus diesen Rissen und Falten ein Gesicht optisch hervorfiltern zu können. Als mir dies gelungen war, da kam ich mir vor wie zur Seite gestellt. Ich merkte das Schwanken des Bootes nicht mehr, ich hatte auch meine übrige Umgebung vergessen und sah nur das Gesicht.
    Es gehörte keinem Menschen.
    Trotzdem kannte ich es.
    Das war, das war – ja – das waren die Züge des Dämons Mandragoro. Also doch! Er steckte dahinter. Er hatte seine Finger im Spiel und gab sich zu erkennen.
    Harry Stahl hörte ihn bestimmt nicht. Mandragoro und ich waren uns nicht so fremd, auch wenn wir auf zwei verschiedenen Seiten standen, und wir hatten schon des öfteren auf dem Weg des Gedankenaustausches Kontakt miteinander gehabt.
    So auch hier.
    Seine Stimme klang weich und gleichzeitig so weit entfernt, aber in der Sache blieb er knallhart.
    »Du kannst es nicht verhindern. Er hat mich verraten, und deshalb wird er ein Opfer des Judasbaum. Wenn du es versuchst, Sinclair, bist du ebenfalls tot, das weißt du.«
    »Warum?« flüsterte ich, in der Hoffnung, daß er mich hörte.
    »Das weißt du. Er hat mich hintergangen. Viele haben die Natur hier hintergangen, und ich hole mir alles zurück, wenn er nicht mehr ist, wird auch der Baum nicht mehr sein. Rudert – rudert schnell weg, denn der Sumpf wird alles schlucken! Oder wollt ihr aussehen wie der Mann, der von deinem Freund gejagt wurde?«
    Dazu konnte ich nichts sagen, weil ich nichts darüber wußte. Aber Mandragoro setzte seinen Plan in die Tat um. Wir schauten zu, wie Roland Schneider von den Armen des Geästs angehoben wurde und sich auch die Hände weiter streckten.
    Man zerrte ihn in die Höhe. Da erinnerte er mich nicht mehr an einen starr nach unten hängenden Klöppel, sondern eher an einen Menschen, der in der Schlinge eines Galgens hing.
    Die Hände richteten sich auf, aber das alte Geäst kam seiner Aufgabe nach.
    Die Zweige und Äste krümmten sich. Sie waren wie Messer
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher