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0992 - Der Judasbaum

0992 - Der Judasbaum

Titel: 0992 - Der Judasbaum
Autoren: Jason Dark
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plötzlich.
    In der oberen Hälfte krümmte sich der mittlere Finger der linken Hand und bildete so etwas wie ein kleines Dach, als wollte es sich schützend über den Kopf des Toten stellen.
    Daran konnte Harry nicht glauben. So etwas passierte sicherlich nicht. Da hatte die Klaue etwas anderes mit ihm vor, und Harry irrte sich nicht, denn der Mittelfinger knickte weiter ein und näherte sich immer mehr dem Kopf der Leiche.
    Wenige Augenblicke später geschah das Unglaubliche. Harry hielt den Atem an, als er das sah, denn die Kuppe des gewaltigen Mittelfingers drückte gegen den Kopf der Leiche. Sie preßte ihn nicht zusammen. Harry hörte nicht das Knacken oder Brechen irgendwelcher Knochen, nein, der Finger drückte noch weiter zu und sorgte dafür, daß diese menschliche Hülle in die Hand integriert wurde.
    Der Zeigefinger, gegen den der Tote lehnte, fraß ihn. Er wurde integriert und verschwand. Dabei beulte sich der Finger aus. Das Holz war plötzlich weicher geworden, aber es spie sein Opfer nicht mehr aus. Es blieb in dem Finger, aber es war nicht völlig verschwunden, denn ungefähr in der Mitte zeichnete sich noch sein Gesicht ab, auch nur bei genauem Hinschauen zu erkennen.
    Harry Stahl begriff die Welt nicht mehr. Was er da gesehen hatte, konnte man nicht erklären, zumindest wußte er keine Worte zu finden. Aber er hatte es gesehen und sich nicht geirrt!
    Die Hand hatte das erste Opfer verschluckt, als wäre die Leiche für sie so etwas wie eine Nahrung gewesen. Und Harry hatte zugleich erlebt, welches Schicksal ihm möglicherweise noch bevorstand, denn er würde einem Finger auch keinen Widerstand entgegensetzen können. Zwar war er bewaffnet, sogar mit zwei Pistolen, aber ob er normale Kugeln verschoß oder geweihtes Silber, er glaubte nicht, daß er das Grauen damit stoppen konnte.
    Der Zeigefinger der linken Hand blieb senkrecht. Der Mittelfinger aber richtete sich nicht wieder auf. Er zeigte nur mehr nach vorn, als wollte er Harry damit andeuten, daß der das nächste Opfer war.
    Und es ging weiter, denn es gab noch andere Finger. Zunächst bewegten sich nur die der linken Hand, denn dort senkten sich der Ringfinger ebenso wie der kleine Finger.
    Harry Stahl hielt den Atem an. Er wußte, daß er diesmal gemeint war, und da brauchte die rechte Hand nicht einmal zu reagieren.
    Dennoch sprang er auf deren Ballen, wo er auch stehenblieb und sich für einen Moment dem Gefühl einer trügerischen Sicherheit hingab.
    Daß sich die anderen Finger auch weiterhin bewegten, merkte er unter seinen Füßen, wo die ungewöhnliche Haut ebenfalls nicht mehr ruhig blieb, sondern sich spannte. Denn auch die Finger der rechten Hand beugten sich jetzt herab, als wären sie gewaltige Stahlträger, die alles zerdrücken wollten.
    Harry blickte hoch.
    Sie kamen.
    Sie lagen zusammen, sie bildeten so etwas wie ein Dach, das sich immer weiter nach unten senkte. Harry konnte sich ausrechnen, wann es ihn erwischen würde.
    Er murmelte eine Verwünschung und bemerkte, daß genau in diesem Augenblick Rocky den Kopf anhob und ihn anschaute, als wollte Harry ihm einen Ausweg aus der Misere erklären.
    Der Agent schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, Alter, aber ich weiß auch nichts mehr. Ich bin ebenso schlau oder so dumm wie du. Ich komme damit nicht mehr zurecht.«
    Der Hund bellte. Dabei zuckte sein Kopf nach vorn, als wollte er Harry etwas zeigen.
    Der reagierte nicht so, wie es sich der Hund vorgestellt hatte. Sein Blick war nach unten gefallen.
    Dort lag der Sumpf mit all seiner tödlichen Heimtücke. Aber direkt um den verdammten Baum herum hatte sich ein schmieriger, dunkler und auch stinkender Teppich aus Öl und anderen Chemikalien ausgebreitet, der mehr an eine dicke Schlammschicht erinnerte, die in ihrem Innern Schreckliches verbarg.
    Der Ring war breit.
    Zu breit.
    Wenn Harry sprang, auch wenn er sich dabei heftig abgestoßen hätte, würde er es kaum schaffen, diesen Ring zu überwinden. Er würde hineinfallen, dort versinken und ebenso elendig ersticken wie im normalen Sumpf.
    »Rocky«, flüsterte er mit erstickt klingender Stimme, als hätte er einen Kloß im Hals. »Es ist eigentlich egal, in was wir springen. Ob in die Brühe oder in den Sumpf. Sterben werden wir so oder so. Scheiße auch.« Er schluckte und für einen Moment dachte er an Dagmar Hansen, seine Freundin, für die er mehr empfand als nur Freundschaft.
    Er fluchte innerlich, blickte wieder nach unten, und Rocky ließ es nicht zu. Er verbiß sich in
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