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0985 - Libertys Tränen

0985 - Libertys Tränen

Titel: 0985 - Libertys Tränen
Autoren: Simon Borner
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war, wandte sich Andy zu Jennings um. Seine Gedanken rasten. Ein Mordfall, ausgerechnet hier im Postkartenidyll! Und das an einem Tag, an dem fünfzig Prozent der hiesigen Polizeistreitkraft freihatte.
    »Ich fürchte, ich muss Sie bitten zu gehen, Mr. Jennings«, sagte er leise. »Außeneinsatz. Wir schließen.«
    Dann schluckte er trocken.
    ***
    Das Wasser schmeckte salzig - und es war kalt wie der Tod!
    Zamorra wusste nicht, woher es gekommen war, wusste überhaupt nichts mehr. Außer, dass es sein Ende bedeutete, wenn er nicht endlich schwamm. Die tosenden Wellen - manche klein, andere hoch wie eine Wand - spielten regelrecht mit ihm; sie warfen ihn hin und her, als sei er nichts als ein Stück Holz. Der Dämonenjäger strampelte, prustete, keuchte. Sein Herz schlug wie wild, seine Lunge rebellierte, und jeder Muskel in seinem Körper schrie vor Schmerz und Überanstrengung. Doch er durfte nicht nachlassen. Instinktiv griff er sich an die Brust, aber Merlins Stern war nicht aufzufinden.
    Da! Wieder näherte sich eine Riesenwelle. Zamorra hörte sie eher, als dass er sie sah, denn die nachtschwarze Dunkelheit und der Nebel machten eine Sicht nahezu unmöglich, von einer Orientierung ganz zu schweigen.
    Luftholen, befahl ihm sein aus unzähligen Krisensituationen geschulter Instinkt. Untertauchen.
    Der Professor reagierte sofort. Er sog sich die Lunge mit Sauerstoff voll, ließ sich vollends ins eisige Nass sinken, und wartete.
    Fünfzehn… sechzehn…
    Wie lange dauerte es wohl, bis das Schlimmste vorüber war? Und: Wo befand er sich überhaupt? Wie war er hierher gelangt? So sehr er sich auch anstrengte, so beharrlich weigerte sich sein Gedächtnis, ihm die entsprechende Information zu geben.
    Dreiundzwanzig… vierundzwanzig…
    Er rief sich die visuellen Eindrücke ins Gedächtnis, die der kurze Moment an der Wasseroberfläche bei ihm hinterlassen hatte: Da war ein finsterer, wolkenverhangener Himmel gewesen, aus dem sich eine wahre Sintflut aus Regen ergoss. Da war der schneidende Wind, gnadenlos und wild, der das Wasser (Meer?) zum Tosen brachte. Da waren die eigenartig leuchtenden Blitze und der Donner, schneidend und laut in der Dunkelheit. Insgesamt ein regelrechtes Weltuntergangszenario.
    Und da war… eine Frau?
    Dieses letzte Bild ließ sich kaum greifen. Zamorra konzentrierte sich - so gut er es angesichts seiner völligen Orientierungslosigkeit und der Tatsache, dass seine Glieder allmählich zu Eis zu erstarren schienen, noch konnte -, es blieb aber unklar.
    Hundertdreißig… hunderteinunddreißig…
    Genug. Er brauchte Gewissheit. Seine rebellierende Lunge ignorierend, strampelte er wieder los, der Richtung entgegen, in der er die Oberfläche vermutete. Wenige, mühevolle Sekunden später - war er wirklich so tief abgetrieben? - erreichte er sie und atmete ebenso gierig wie dankbar ein. Luft, endlich wieder Luft!
    Wo bin ich?
    Er spürte, wie ihm die Kräfte schwanden. Wenn er nicht bald Land oder irgendetwas anderes Festes erreichte, würde er dauerhaft untergehen, das wusste er.
    Es sei denn, dieses Eiswasser erledigt mich nicht schon früher.
    »Hallo?«, rief er über das Tosen der Wellen und des Sturmes hinweg. »Hört mich jemand?« Doch der Wind schien die Laute zu verschlucken, sowie sie ihm über die bibbernden Lippen kamen.
    Müde. So müde…
    Hypothermie setzte ein. Zamorra spürte es genau und konnte doch nichts tun. Jetzt kam es auf jede Sekunde an. Er drohte, von der Kälte in den Todesschlaf getrieben zu werden. Grundgütiger, wie lange war er denn schon hier draußen?
    Als die nächste Riesenwelle heranrollte, war er schlauer. Statt unter ihr wegzutauchen, stieß er sich mit allem, was sein zitternder, zuckender Leib noch an Energie aufzubringen vermochte, ab und ritt mit ihr. Nur Sekundenbruchteile ließ die Gischt am rauschenden Wellekamm ihn im Freien, doch sie reichten, die ferne Umgebung in Augenschein zu nehmen - und die mehrere Kilometer entfernte Skyline zu sehen.
    Manhattan! Ich bin in der Upper Bay vor New York Citys Küste!
    Dann schlugen die Fluten erneut über ihm zusammen. Als Zamorra dieses Mal auftauchte, röchelnd, spuckend und in der Gewissheit, dass es das letzte Mal sein würde, wusste er, um wen es sich bei der rätselhaften Frau handeln musste, die ihm seine Erinnerung so fetzenhaft zeigte: Miss Liberty Er wandte den Kopf nach rechts und sah die Freiheitsstatue über die tosende Bay ragen. Doch das war nicht mehr die reg- und leblose Statue, die er in
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