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0976 - Die Leichen der schönen Charlotte

0976 - Die Leichen der schönen Charlotte

Titel: 0976 - Die Leichen der schönen Charlotte
Autoren: Jason Dark
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es zu ihr. Dick dachte daran, daß sie nicht mehr normal war. Er hatte sogar Mitleid. Sie war krank, sie war irr im Kopf, aber er war auf sie angewiesen. Wenn sie ihm nicht half, aus diesem verdammten Brunnenschacht herauszukommen, war sein Leben verwirkt. Er würde unten aufschlagen, tot oder zumindest schwerverletzt liegenbleiben und elendig krepieren.
    Stevens wußte nicht, wie lange er sich in dieser Lage halten konnte. Seine Kraft würde ihn bald verlassen. Vielleicht in einer Minute oder etwas später, dann aber war es vorbei.
    Er riß sich zusammen. Nur nicht an die eigene Lage denken. Immer nach oben blicken, nicht nach unten, denn oben am Rand stand sie und schaute hinab.
    »Charlotte!« Er hatte ihren Namen rufen wollen. Es war nur ein Krächzen dabei herausgekommen.
    Das Summen verstummte.
    »Charlotte! Verdammt, hol mich hier raus. Es war ein Versehen deinerseits - nicht?«
    Sie lachte nur.
    »Bitte, hol mich…«
    »Nein!« rief sie in den Schacht hinein, wobei ihre Stimme durch die Enge einen dumpfen Klang bekommen hatte. »Ich werde dich nicht wieder herausholen.«
    »Was habe ich dir getan?«
    »Du hast mich angefaßt!«
    Dick lachte und wunderte sich über sich selbst. Der Schweiß rann wie Salzwasser über sein Gesicht.
    Er biß in die Augen hinein, als hätten sich dort Ameisen festgesetzt, die ihre Säure verspritzten. »Du kannst das nicht sagen. Du hast meine Hand genommen und mich in diese Lage hineingebracht. Hast du das vergessen?«
    »Deshalb mußt du sterben.«
    »Dann willst du mich nicht rausholen?«
    »Nein.« Sie hatte das Wort hervorgejubelt. Wie jemand, der sich über etwas wahnsinnig freut. Charlotte hatte ihre Haltung verändert, sie stand jetzt auf dem breiten Brunnenrand und sah aus wie eine Tänzerin, die an einer besonders schmalen Stelle üben wollte.
    »Warum denn?« keuchte er.
    »Du mußt sterben.«
    »Ich habe dir nichts getan.«
    »Keine Wiederholungen.« Sie balancierte auf dem Brunnenrand und tänzelte dabei noch wie jemand, der etwas einstudiert.
    Es hatte keinen Sinn mehr, noch weitere Fragen zu stellen. Dick Stevens mußte sich damit abfinden, daß er dem Tod geweiht war.
    Dann fiel er.
    Der Gedanke lähmte ihn und brachte ihn wenig später auf eine andere Spur. Einfach die Hände lösen, sich fallen lassen, dann war es vorbei. Die Todesangst abkürzen.
    Das schaffte er nicht. Er war nicht dazu geboren. Dick wollte immer kämpfen, bis zuletzt, wo es nicht mehr weiterging. Sich freiwillig in den Tod hineinfallen zu lassen, das brachte er nicht fertig.
    Dafür war er nicht der Typ.
    Er wollte es noch einmal versuchen. Den Kopf legte er so weit wie möglich in den Nacken. Charlotte spazierte über den Rand hinweg, als wäre nichts geschehen. Sie fühlte sich wohl, denn sie war es, die alle Trümpfe in den Händen hielt.
    Das konnte Dick nicht begreifen. Für ihn war diese Person eine gespaltene Persönlichkeit. In ihrer Brust lebten zwei Seelen, die eines Engels und die eines Dämons.
    Sie stoppte plötzlich und ging in die Hocke. Die Arme leicht vorgestreckt, umklammerten die Hände den Innenrand des Brunnens. Sie hockte dort wie ein riesiger, sprungbereiter Frosch, der sich jeden Augenblick in die Tiefe stürzen konnte.
    Das tat sie nicht. Charlotte traf keinerlei Anstalten, dem Mann zu Hilfe zu eilen. Sie wartete. Die Zeit konnte nur für sie sein. Aber sie sprach trotzdem, und sie erklärte dabei, weshalb sie die Lampe einsetzte.
    »Schau nach unten, wenn du kannst!« rief sie Stevens zu. »Da wirst du etwas sehen.« Der Strahl leuchtete an ihm vorbei.
    Dick mußte den Kopf schon sehr stark drehen, um etwas erkennen zu können. Zuerst hatte er es nicht tun wollen, denn die irrwitzigsten Vorstellungen huschten durch sein Hirn. Schließlich überwand er sich, bewegte seinen Kopf und spürte den Stich durch die Brust wie mit einer glühenden Nadel ausgeführt.
    An der Wand klebte tatsächlich Blut. Im Licht der Taschenlampe war es besonders deutlich zu sehen.
    Blut der Opfer.
    Seines würde bald hinzukommen.
    Der Hals schmerzte ihm, als er den Kopf so weit drehte, damit er in die Tiefe schauen konnte.
    Da sah er die Schatten.
    Lang und spitz ragten sie ihm entgegen, aber die berührten ihn noch nicht. Sie füllten die leere Fläche im Innern des Brunnens aus. Es gab zwischen ihnen entsprechende Lücken, doch sie waren zu schmal, um einen Körper hindurchzulassen.
    Holzpfähle. Wie vor Jahrhunderten, als der Blutgraf Dracula seine Opfer auf eine derartige Weise vom Leben
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