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0973 - Das verfluchte Volk

0973 - Das verfluchte Volk

Titel: 0973 - Das verfluchte Volk
Autoren: Andreas Balzer
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Großmutter väterlicherseits stammte von den Andoque-Indianern ab. Sehr zum Missfallen von Paulas Vater, der von diesem »abergläubischen Gewäsch« nichts wissen wollte, hatte Esmeralda Vásquez unzählige Abende damit verbracht, die Geschichten an ihre Enkelin weiterzugeben, die sich ihre Ahnen einst am Lagerfeuer erzählt hatten.
    Paula hatte diese fantastischen und oft sehr fremdartig anmutenden Märchen und Mythen geliebt, aber eine Geschichte hatte sie ganz besonders gerne gehört. Jedes Mal bettelte und flehte sie so lange, bis die alte Dame mit gespielter Verzweiflung nachgab und seufzend ein weiteres Mal die Legende vom verfluchten Volk erzählte.
    Noch heute liefen Paula wohlige Schauer über den Rücken, wenn sie daran dachte, wie ›yaya‹ (Oma) zur Freude ihrer vor Vergnügen quietschenden Enkelin die alten Überlieferungen mit immer neuen gruseligen Details ausgeschmückt hatte. Doch im Kern war die Geschichte immer die gleiche geblieben. Es ging um einen geheimnisvollen Indianerstamm mit unheimlichen magischen Kräften, vor dem sich die anderen Ureinwohner ebenso fürchteten wie die wenigen Weißen, die so weit in den Urwald vorgedrungen waren. Ein Volk, das mit seinen obszönen Ritualen die Götter selbst herausgefordert hatte. Und das irgendwann wie vom Erdboden verschwunden war.
    »Jeder Frevel wird eines Tages bestraft«, hatte yaya mit ihrem gütigen Lächeln gesagt. »Wer sich mit den Göttern messen will, wird von ihnen vernichtet.«
    Doch war das verfluchte Volk wirklich ausgelöscht? Yayas Geschichten begannen oft damit, dass ein verirrter Jäger im Urwald auf geheimnisvolle Ruinen stieß, die von der Schreckensherrschaft des verschwundenen Stammes zeugten. Erschöpft von den Strapazen des Tages legte sich der Jäger nieder, nur um mitten in der Nacht von Trommelklängen geweckt zu werden. Er öffnete die Augen und fand sich auf einem Opfertisch wieder, umgeben von grell geschminkten Kriegern, die ihm bei lebendigem Leibe das Herz aus der Brust rissen, um es zu verspeisen.
    »Ist das wirklich wahr?«, hatte Paula gefragt. Und ihre Großmutter hatte stets geantwortet: »Selbstverständlich ist es das. Würde ich es dir sonst erzählen?«
    Natürlich hatte Paula ihr nicht geglaubt. Aber darum ging es auch nicht. Schließlich waren auch nur die wenigsten Kinder davon überzeugt, dass sich die Geschichten von Schneewittchen oder dem gestiefelten Kater exakt so zugetragen hatten.
    Doch jetzt war sie sich nicht mehr ganz so sicher. Yayas Volk, die Andoque, lebte bis heute am Rio Caquetá, in unmittelbarer Nähe des riesigen Areals, das seit Monaten zum Sperrgebiet erklärt worden war.
    Magische Kräfte. Geheimnisvolle Ruinen.
    Zamorra hatte am schwarzen See bizarre indianische Ruinen entdeckt. Zufall? Die Reporterin konnte es sich kaum vorstellen. Also hatte sie recherchiert. Und war auf Erstaunliches gestoßen.
    Die Andoque waren nicht das einzige indigene Volk, das die Legende kannte. Paula hatte in zahlreichen ethnologischen Fachbüchern Hinweise auf den geheimnisvollen Indianerstamm gefunden, wobei die meisten Autoren davon ausgingen, dass es sich bei der Geschichte um einen reinen Mythos handelte, quasi das Urwald-Äquivalent einer Urban Legend. Denn kein Forscher hatte jemals Beweise für die Existenz dieses rätselhaften Volkes gefunden, das angeblich bis zu seinem unerklärlichen Verschwinden seine Nachbarn in Angst und Schrecken versetzt hatte.
    Doch es gab eine Ausnahme. Professor Jorge Rovira, Ethnologe an der Universidad Nacional de Colombia in Bogotá hatte in mehreren Publikationen den Verdacht geäußert, dass die Legende einen wahren Kern haben könnte, und sich überzeugt gezeigt, dass sich schon Beweise finden ließen, wenn man nur gründlich genug danach suchen würde.
    Sie hatte sofort an der Uni angerufen - nur um eine herbe Enttäuschung zu erleben. Rovira sei im Ruhestand, er habe das ethnologische Institut schon vor über zehn Jahren verlassen. Und nein, man könne ihr nicht sagen, wo er jetzt zu erreichen sei, wurde ihr recht unfreundlich beschieden.
    Auch klassische Telefonbücher und eine intensive Internet-Recherche brachten sie nicht weiter. Doch so schnell gab eine Paula Vásquez nicht auf. Sie reaktivierte ein paar alte Bekanntschaften aus ihrem eigenen Studium, hörte sich auf dem Campus ein bisschen um, und erfuhr, dass sich der Ethnologe mit gerade mal Mitte 40 völlig überraschend ins Privatleben zurückgezogen hatte. Seitdem hatte niemand mehr etwas von ihm
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