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0973 - Das verfluchte Volk

0973 - Das verfluchte Volk

Titel: 0973 - Das verfluchte Volk
Autoren: Andreas Balzer
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zu versorgen. Ich fürchte, inzwischen knurren unsere Mägen so laut, dass die Tiere allein bei dem Geräusch Reißaus nehmen.
    Rogelio hat heute Mittag eine uns allen unbekannte, leuchtend rote Frucht gegessen, die so schön saftig aussah, dass uns allen das Wasser im Mund zusammenlief. Die Todesqualen waren schrecklich, währten aber zum Glück nicht lange. Die gierigen Blicke, mit denen die Männer ihren frisch dahingeschiedenen Kameraden betrachteten, waren äußerst beunruhigend.
    Sind wir wirklich schon so tief gesunken?
    ***
    Paula fuhr herum und starrte das seltsame Duo an, das sich ihr unbemerkt genähert hatte und nun den einzigen Durchgang zum Rest der Wohnung blockierte. Auch ohne Vorstellung wusste sie genau, wer die hagere, verhärmt wirkende Frau in dem schmucklosen grauen Kleid war, die sie von der Tür her wütend anfunkelte. Donna Estelle sah genauso selbstgefällig und verbiestert aus, wie sie sich am Telefon angehört hatte. Und dass sie Paula bei einem dreisten Einbruch ertappt hatte, schien ihre Laune nicht gerade zu verbessern.
    Doch was die Reporterin wirklich schockierte, war der Anblick des Mannes, der sie angesprochen hatte. Roviras Kollegen hatten den Ethnologen als »Bär von einem Mann« beschrieben. Doch das zusammengesunkene Wrack, das vor ihr im Rollstuhl kauerte, hatte nichts mit dem großen, kräftigen Mann gemein, den sie auf Fotos gesehen hatte.
    Rovira war gerade mal 56, doch der in einen dicken blauen Bademantel gehüllte Mann sah aus wie eine Mumie. Der dürre Leib bestand nur noch aus dünner Haut, die sich wie brüchiges Pergament über die Knochen spannte. Von dem wild wallenden schwarzen Haar, das dem Wissenschaftler das Aussehen eines Künstlers verliehen hatte, waren nur noch ein paar einzelne weiße Strähnen übrig geblieben, die kaum etwas von dem fleckigen Schädel bedeckten. Die Unterarme und Hände waren vollständig unter einer dicken braunen Decke begraben, die ungeachtet der drückenden Hitze den Unterkörper bedeckten.
    »Professor Rovira?«, fragte Paula sicherheitshalber.
    Der Mann nickte. Die wachen grauen Augen, denen nichts zu entgehen schien, waren das Einzige an dem ausgelaugten Körper, das noch lebendig wirkte.
    »Und Sie sind?«
    Die Stimme klang gespenstisch hohl, zeugte aber immer noch von großer Autorität und Entschlusskraft. Roviras Körper mochte vom Tod gezeichnet sein, für seinen Geist galt das ganz sicher nicht.
    »Mein Name ist Paula Vásquez, ich hatte angerufen, aber…«
    Rovira verzog die Lippen. Es sah aus wie die groteske Parodie eines Lächelns. »Wir empfangen nicht oft Besuch. Die gute Estelle ist manchmal etwas zu sehr besorgt um mein Wohlergehen, nicht wahr meine Liebe?«
    »Kein Grund, hier einfach einzudringen«, zischte die Haushälterin, die Paula immer noch wutentbrannt anstarrte.
    »Da hat sie wohl recht, Señorita Vásquez. Also - was machen wir jetzt mit Ihnen?«
    »Wenn Sie die Polizei rufen wollen…«
    »Polizei?« Rovira kicherte. Es klang, als reibe grobes Schmirgelpapier aneinander. »Das wäre vielleicht keine so gute Idee. Wir schätzen unsere Privatsphäre.«
    Paula spürte, wie ihr kalte Schauer über den Rücken liefen. Es war erst einige Monate her, dass sie schon einmal bei einem Einbruch erwischt worden war. Sie sah Richard Devaine vor sich, der den Befehl gab, die Eindringlinge zu exekutieren.
    Es tut mir wirklich leid, Miss Vásquez.
    Für einen Moment fühlte sich Paula wie paralysiert, als die Erinnerungen sie überschwemmten. »Meine Redaktion weiß, dass ich hier bin«, brachte sie mühsam hervor. »Wenn Sie mich…«
    Der Mann im Rollstuhl unterbrach sie mit einem tadelnden Kopfschütteln. »Sie haben mich falsch verstanden, Señorita Vásquez. Ich sehe vielleicht nicht besonders vertrauenerweckend aus, aber von mir haben Sie nichts zu befürchten. Ich kenne Ihre Arbeit und bin beeindruckt von Ihrem Mut, sich immer wieder mit den Mächtigen unseres Landes anzulegen, die Meinungsfreiheit nur zu gerne wie ein Kapitalverbrechen behandelt. Wie gesagt, wir ziehen es vor, unter uns zu bleiben. Aber jetzt, wo Sie schon mal da sind, könnten Sie mir vielleicht verraten, was genau Sie eigentlich von mir wollen.«
    ***
    Das Schlimmste am Dienst hier am Rande der Todeszone war die absolute Monotonie. Nur die selbst für wenig sensitive Gemüter unverkennbare Präsenz des Bösen verhinderte, dass die Soldaten bei ihrer ereignislosen Arbeit in Routine verfielen und nachlässig wurden. Nachdem die alte Basis durch
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