Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0968 - Die Greise von Eden

0968 - Die Greise von Eden

Titel: 0968 - Die Greise von Eden
Autoren: Adrian Doyle
Vom Netzwerk:
hast. Richtig?«
    Zu ihrer Überraschung schüttelte Bayan den Kopf. »Ich will ehrlich sein«, sagte er. »Nicht nur die heilige Pflicht, der unsere Familie seit Jahrhunderten dient, hindert uns daran, dem Entführer zu geben, wonach er verlangt - wir können es schlichtweg nicht. Mehr als schauen können auch wir Saleh das Artefakt nicht. Offenbar wollte Karim verhindern, dass einer seiner Nachfahren der Versuchung erliegt, die Klinge eigennützig zu verwenden. Was auch immer. Sie ist hier nicht nur vor dem Engel sicher, der sie einst verlor, sondern vor jedermann!«
    »Das heißt, ihr könntet eure Kinder nicht einmal auslösen, wenn ihr es wolltet?«
    Bayan nickte schwer. Dann wandte er sich ab. »Kommt jetzt. Wir müssen zu Wafa. Wir müssen überlegen, wie wir verhindern können, dass das Wesen noch mehr Unheil über unsere Familie bringt.«
    Nele folgte ihm wie betäubt, reagierte kaum auf Pauls Fragen, mit denen er sie auf der Weiterfahrt bestürmte.
    7.
    Die kleine Stadt hatte begonnen, sich zu verändern - und mit ihr ihre Bewohner.
    Paul Hogarth hegte keinen Zweifel, dass das Monströse dahinter steckte, von dem er in Wafa Salehs Haus berührt worden war - eine Berührung, die offenbar seinen Tod im Drei-Stunden-Abstand in Gang gesetzt hatte.
    »Der Himmel«, wies er Nele hin, während der Van sich Wafa Salehs Haus näherte. »Schau dir nur den Himmel an. Keine Wolke - aber die Sonne ist wie hinter Dunst verborgen. Das Licht hat sich verändert. Es hat etwas Bleiernes. Man meint, sein Gewicht spüren zu können. Merkst du das auch? Und die Leute - irgendetwas ist mit den Leuten. Sieh doch, wie sie streiten. Die Nervosität - oder ist es Aggression? - liegt fast greifbar in der Luft. Oder ist es Furcht, spüren die Bewohner ein nahendes Unheil, auf das jeder auf ganz eigene Weise reagiert? Da hinten: eine Schlägerei! Und dort: eine Gruppe Frauen, die zeternd aufeinander losgehen.«
    KLONG!
    »Was war das?«, fragte Nele.
    »Ein Stein. Jemand hat den Wagen grundlos mit einem Stein beworfen!« Hogarth spähte suchend durch die Wagenscheiben nach draußen.
    Das Geräusch wiederholte sich. Zwei, drei weitere Treffer. Bayan Saleh fluchte in der Sprache, die Paul nicht verstand. Aber ein Fluch blieb ein Fluch. Hogarth entdeckte den Steinewerfer. Ein Halbwüchsiger. Bei ihm standen Gleichaltrige, die sich offenbar von seinem Tun animiert fühlten.
    »Schneller!«, drängte Nele den Jordanier.
    Saleh gab Gas. Die Jugendlichen blieben hinter ihnen zurück.
    »Die Stimmung kippt«, sagte Nele. »Du hast recht. Der Himmel ist merkwürdig. Vielleicht steckt wirklich der Geflügelte dahinter.«
    Sie erreichten Wafas Haus, das landestypisch von einer hohen Mauer umgeben war. Bayan hupte im Näherkommen, und das Tor schwang elektrisch auf.
    Vor dem Haus wurden sie von den beiden anderen Handschuhträgern, Bayans Brüdern, in Empfang genommen.
    Sie umringten Bayan, kaum dass er ausgestiegen war, und redeten aufgeregt auf ihn ein.
    »Worum geht es?«, wandte sich Paul an Nele. »Ist wieder etwas vorgefallen?«
    Die Stimme der Unsterblichen vibrierte, als sie antwortete: »Wenn ich es richtig verstehe…« Sie schüttelte ungläubig den Kopf. »… sind die entführten Söhne wieder da, alle drei. Die Brüder behaupten, der Geflügelte habe sie zurückgebracht - aber sie seien kaum wiederzuerkennen!«
    ***
    Kaum wiederzuerkennen war eine Untertreibung allererster Güte.
    Als Nele den großen Gemeinschaftsraum der Familie betrat, sah sie sich vergeblich nach drei Jungen um.
    Auf Sitzkissen in der Mitte saßen drei zuvor noch nicht bemerkte alte Männer, zu denen sich die Mütter der vermissten Kinder gesellt hatten. Sie saßen bei ihnen, hielten entweder die Hand eines Alten oder hatten die Arme um ihn gelegt. Auf den Gesichtern der Frauen war helle Verzweiflung zu sehen. Die Greise wiederum saßen mit hängenden Schultern da, ihre zerfurchten Gesichter wirkten müde, die Augen fast erloschen.
    Sie waren noch älter als Nele selbst von ihrem Äußeren her vermittelte.
    Es dauerte ein paar Sekunden, bis sie anhand der Gesprächsfetzen, die sie aufschnappte, und der Reaktionen von Bayan und seinen anwesenden Brüdern begriff, in was für eine bizarre Wiedervereinigungsszene sie geplatzt waren.
    Sie nahm Paul an die Seite und wisperte ihm zu: »Du weißt, wer die Alten sind?«
    Er schüttelte den Kopf. »Die Großväter?«
    »Dann müssten sie doch auch Handschuhe tragen, oder? Und wir hätten sie auch sicher schon
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher