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0947 - Geballte Wut

0947 - Geballte Wut

Titel: 0947 - Geballte Wut
Autoren: Simon Borner
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die Fahrkartenautomaten nicht, heute streikt der Aufzug, und die Überwachungskameras leisten ohnehin nur noch Dienst nach eigenem Ermessen. Wenn Sie mich fragen, geht der komplette Laden langsam vor die Hunde.«
    Pierre erinnerte sich. Schon bei seinem Aufenthalt hatte Desjardins Probleme mit der veralteten Technik gehabt. »Und jetzt? Ich sehe zwar das Opfer, aber nicht den Täter. Oder war es eine Sie?«
    Thierry antwortete, doch etwas auf dem Monitor beanspruchte mit einem Mal Robins volle Aufmerksamkeit. Zwei Rettungskräfte waren zu dem Sterbenden geeilt, knieten neben ihm und behandelten seine Wunden mit der stoischen Gelassenheit von Heilern, die wussten, dass sie nichts mehr ausrichten konnten. Und dann…
    »Was ist das denn?« Robin stutzte. »Dieser… dieser Tourist. Er hebt die Hand, deutet einem der Sanitäter, sich zu ihm hinabzubeugen und… Flüstert der ihm was ins Ohr?«
    Desjardins lachte leise und humorlos. »Ja, das war wohl so. Wir dachten zuerst auch, er weise uns mit letzter Kraft auf seinen Mörder hin, aber es war nur sinnloses Gebrabbel.«
    Robin schüttelte den Kopf. Sein Instinkt sagte ihm, dass sich der Pariser ÖPNV-Angestellte irrte. Sich irren musste . »Was war es, Thierry? Was genau hat er gesagt? Ich will jedes einzelne Wort wissen, klar?«
    Am anderen Ende der Leitung wurde abfällig ausgeatmet. »Och, irgendwas mit einem Haus. Weiß der Geier, was das bedeuten sollte. Moment, ich hab's hier notiert…«
    Es raschelte. Robin dachte an das Chaos auf Desjardins Schreibtisch und hoffte inständig, der fragliche Zettel sei noch aufzufinden.
    »Ah, da ist er«, meldete sich Thierry erneut. »Genau, ein Hausname. Château Montagne. Also wirklich. Sagt Ihnen das etwa was? Wir hier hielten es für Schwachsinn.«
    Robin legte auf und starrte schweigend ins Leere. Gedanken überschlugen sich, bildeten Kausalketten, die ihm nicht gefielen. Ganz und gar nicht.
    Erst nach einer ganzen Weile merkte er, dass seine Finger dabei über die Geige strichen, die er in Paris erhalten hatte - aus den Händen eines Toten.
    ***
    Paris
    Der Verkehr auf der Quai de la Rapée war die Hölle gewesen. Dicht an dicht standen die Pkw auf der vierspurigen Stadtstraße, die entlang der Seine führte und das Bild des gesamten nordwestlichen Uferbereiches verschandelte - zumindest in Emmelines Augen. Die junge Frau mit den glatten roten Haaren und der grazilen Figur hatte gerade ihren Wagen abgestellt und schlenderte über den noch leeren Parkplatz zum Eingang des Bürogebäudes mit der Hausnummer 54, dem Hauptsitz der Regie Autonome des Transports Parisiens(Pariser Verkehrsbetriebe (kurz: RATP)). Es war noch früh am Tag, und hinter den Fenstern des mehrstöckigen Hauses, das seit drei Jahren ihr Arbeitsplatz war, regte sich nichts.
    Gut so.
    Emmeline mochte die Morgenstunden. Wenn die Hektik und das Gewusel des Alltags noch fern waren, bekam sie deutlich mehr geschafft, als wenn ständig das Telefon klingelte oder ihre Inbox mit neuen, ach so dringenden Mailanfragen geflutet wurde. Dafür nahm sie auch in Kauf, zwei Stunden vor allen anderen aufzustehen und sich allein in das weitläufige, noch in Dämmerlicht liegende Gebäude zu begeben.
    Angst? Wovor sollte Emmeline Forneaux schon Angst haben? Dass sie ein wild gewordener Locher angriff? Dass sich die Kopierer gegen sie verschworen? Hier war doch niemand.
    Just in diesem Augenblick legte sich eine Hand auf ihre Schulter.
    Emmeline wurde grob gepackt, zur Seite gedrängt und herumgewirbelt. Reflexartig riss sie die Arme hoch, spannte die Muskeln an… und hielt inne, als sie in das Gesicht eines alten Mannes sah.
    Der Kerl musste gut und gerne neunzig sein. Ein gebrechlich wirkendes Männlein mit wirrem weißen Haar, das wie eine Korona von seinem faltigen, schmalen Schädel abstand. Seine Kleidung - falsch geknöpftes Hemd und eine Tweedhose, die an den Knien braune Aufnäher zierten - machte den Eindruck, als sei sie mindestens seit Wochen weder gewaschen, noch gebügelt worden.
    Sowie sie sich aus ihrer Erstarrung gelöst hatte, griff Emmeline nach dem Pfefferspray in der Tasche ihrer dunklen, modischen Übergangsjacke.
    Die Augen des Mannes weiteten sich. »Was?«, begann er, als er die kleine Sprühdose erblickte. »Nein, nein, Sie missverstehen mich, Mademoiselle.«
    Eine zitternde Stimme, brüchig und schwach. Sie passte zu seinem Aussehen.
    »Was soll das?«, blaffte Emmeline ihn an, den Finger auf dem Auslöser der Spraydose ruhend. »Lauern Sie
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