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0941 - Das unheile London

0941 - Das unheile London

Titel: 0941 - Das unheile London
Autoren: Adrian Doyle
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beziehungsweise die Gesamt-Collage - auf Sam Tylers Gesicht zu bedeuten hatte.
    Offenbar hatte ein Prozess begonnen, der die Stadt in Scherben gehen ließ. Und jede Scherbe umfasste einen anderen Punkt in der Zeit.
    Er holte den Kartenausdruck hervor, den er in Hogarths Wohnung angefertigt hatte, über die Hardware des Detectives.
    Hogarth bemerkte es und drängte dichter an ihn heran.
    »Das ist erst der Anfang - fürchte ich«, sagte Zamorra und hielt die Ränder des Papiers fest, sodass er es gegen den Fahrtwind straffen konnte. »Es stimmt mit dem überein, was Sie abfotografierten. Von Sam Tylers Gesicht. Der Stadtbereich dort entspricht jetzt dem, was die Karte zeigt - siebzehntes Jahrhundert. Aber wenn das schon stimmt, wird bald auch alles andere in Erfüllung gehen - sehen Sie hier: vierzehntes Jahrhundert. Oder hier neunzehntes. Das Böse spaltet London in verschiedene Zeitzonen auf - wir sehen gerade mal den Anfang . Und wenn ich mir vorstelle…«
    »Was?«, fragte Hogarth heiser.
    »… dass das, was von hier verschwindet, wahrscheinlich dorthin geschleudert wird, von wo die Falschzeiten kommen, dann schwant mir allmählich das volle Ausmaß der Katastrophe!«
    »Sie meinen, ›unser‹ London verabschiedet sich in Splittern nach und nach in die Epochen, aus der die fremde Zeit herüberschwappt? Und alle, die sich in London aufhalten, werden nach und nach über die Epochen verteilt - ohne Aussicht auf eine Rückkehr?«
    Zamorra nickte düster. »Genauso wie die Leute, die wir dort sehen - Menschen, die sich gerade noch im mutmaßlich siebzehnten Jahrhundert tummelten -, keine Aussicht auf Rückkehr haben, wenn uns nicht bald, sehr bald, ein Wunder zuhilfe kommt!«
    »Und ich hatte gehofft, Sie seien dieses Wunder.«
    Zamorra schnitt eine Grimasse. »Genau das habe ich befürchtet.«
    8.
    Der Garten hinter dem ryokan lag in einem gespenstischen Nebelgrau.
    Nicole Duval saß wie immer an der offenen shoji ihres Zimmers. Sie war allein, trotzdem überschlugen sich Stimmen im Raum. Der Fernseher lief. Seit Stunden. Eine Sondersendung jagte die Nächste, kein Kanal im In- und Ausland, der nicht über das Thema schlechthin berichtete. Selbst hier in Japan, in Tokyo, waren die Ereignisse in London die Sensation.
    Nicoles Puls jagte.
    Oder war es der Herzschlag eines anderen Lebewesens, den sie so dramatisch in sich pochen fühlte, dass für kurze Zeit fast vergaß, was in der Welt. draußen vorging?
    Umwälzende Prozesse waren in Gang geraten, und tief in sich drin hatte sie die Sorge, dass sie selbst damit auch in Zusammenhang stehen könnte. Der Abschied von Château Montagne, ihre geheimnisvolle Reise nach Japan, ihre Jagd nach dem schrecklichen Dämon CHAVACH…
    Sie wusste, mit wem sie sonst darüber geredet hätte.
    Früher.
    Aber hier und heute war sie ganz allein.
    Sie sah über die sorgfältig geschnittenen Bäume und Büsche von Madame Ichikos Garten hinweg, als würden sich dort schon Anzeichen zeigen, dass das, was London widerfuhr, bereits auf andere Bereiche der Welt übergriff.
    Sie fröstelte bei der Vorstellung, dass auch diese Metropole im Chaos versinken könnte, wenn sie CHAVACH nicht bald fand. Wenn er stark genug geworden war - wofür auch immer.
    Und wieder wollten ihre Gedanken zu ihm flüchten.
    Doch mit ihrer Liebe verhielt es sich in etwa so wie mit der fernen Stadt London - sie drohte, unheilbar in die Brüche zu gehen…
    ***
    Der Übergang von einer Zeit in die andere war mit normalen Sinnen unfühlbar.
    Zumindest bemerkte Zamorra keine Schranke, die es zu durchbrechen galt. Das Erreichen der »Zeitscholle«, wie er das Fragment für sich selbst nannte, ging völlig unspektakulär vonstatten.
    Das Boot durchpflügte die Themse, und auch dem Wasser schien es egal zu sein, ob es sich mit etwas mischte, was hier schon vor Hunderten von Jahren dahingeflossen war.
    Nach Absprache mit Zamorra gab Hogarth dem Steuermann zu verstehen, dass er anlegen sollte. Wenig später hetzten sie die Treppen hinauf in eine Zeit, die Zamorra und Hogarth nur von alten Bildern oder aus Büchern kannten.
    Sie wurden bereits erwartet. Eine Menschentraube scharte sich um sie. Die Männer waren überwiegend in Anzüge gekleidet und trugen Hüte und Gehstöcke, die Frauen, ebenfalls in der Mehrzahl behütet, zeigten sich in knöchellangen Kleidern mit eng geschnürten Korsageoberteilen.
    Sie alle bedrängten Zamorra und Hogarth mit Worten und Gebärden. Zamorra schnappte genau die Fragen auf, die auch die
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