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0933 - Der erste Erbfolger

0933 - Der erste Erbfolger

Titel: 0933 - Der erste Erbfolger
Autoren: Oliver Fröhlich
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resignierte. Ihm war klar, dass er ihn aufhalten musste, aber er wusste nicht, wie.
    An diesem Tag nahm seine Flucht eine ganz neue Qualität an. Endlich wollte er das tun, was Jesof schon so lange vorgeschlagen hatte, nämlich Hysop verlassen. Aber diese Chance hatte er verspielt, denn Stracen ließ einen Teil der Energie des Lebensspenders abzweigen und in einen lückenlosen Schutzschirm um die Stadt fließen. Passieren konnte nur, wen der neu errichtete Stadtschutz vorher kontrolliert hatte.
    Folglich musste er in der Stadt bleiben, seinen Häschern häufig nur eine Haaresbreite voraus. Er verkroch sich in Lagerhäusern, Kellern, leeren Hallen und lebte von dem, was er auf der Straße fand. Wie Jesof gesagt hatte: Die Natur versorgte ihn mit allem, was er brauchte.
    Wurzeln aus den Wäldern, Beeren aus den Parks, Abfälle, die auf den Straßen herumlagen. Unzählige Male hatten ihn die Schergen des Erbfolgers beinahe gefasst, doch immer hatte er im letzten Augenblick entkommen können. Bis jetzt!
    Und nun hatte er genug davon! Er wollte einfach nur noch seine Ruhe!
    Deshalb war er auch in seinen alten Tempel zurückgekehrt. Nach seiner Flucht vor achtzehn Jahren hatte ein anderer in den Heiligen Hallen das Priesteramt übernommen. Doch nach Jesofs Bluttat hatte Stracen die Gelegenheit ergriffen, nicht nur den Rat zu entmachten, sondern auch noch die Götter. Immerhin hatte der Attentäter laut und vernehmlich den Namen Invo Tanaar geplärrt! Den Namen des ehemaligen obersten Dieners der Götter!
    Der Stadtschutz hatte den neuen Priester in einer Nacht- und Nebelaktion abgeholt und ihn in Hysops tiefstes Kerkerloch geworfen. Seitdem war jeglicher Glaube verboten und der Tempel verfiel.
    Zamorra sah sich ein letztes Mal in seinem ehemaligen Meditationsraum um. Wie viele glückliche Jahre hatte er mit seiner Frau Ursa, mit Sennja und Jurg und natürlich mit Jesof Treul in diesen Hallen verbracht? Beim Gedanken an seine Frau und seine Tochter wurde ihm das Herz schwer. Er wusste nicht, was aus ihnen geworden war, hatte nie gewagt, auch nur Erkundigungen einzuziehen.
    Er seufzte und nahm das Buch vom Schreibpult. Mit seinen Erinnerungen wollte er nur Zeit gewinnen, das Unvermeidliche hinausschieben.
    Bereits vor Jahren hatte er einen Zauber gefunden, mit dem er den Erbfolger aufhalten konnte. Nein, das traf so nicht zu. Er konnte nur den Weg ebnen, aufhalten musste ihn jemand anders. Deshalb hatte er auch so lange davor zurückgeschreckt. Aber ihm blieb keine andere Möglichkeit mehr. Er musste es tun. Heute! Jetzt!
    In der Tempelhalle, hinter dem roten Vorhang, ertönten Geräusche. Ein forderndes Pochen.
    »Invo Tanaar! Hier spricht der Stadtschutz. Wir wissen, dass Sie da drinnen sind. Öffnen Sie die Tür oder wir brechen sie auf!«
    Zamorra zuckte zusammen. Die Stimme drang nur gedämpft bis an sein Ohr, dennoch klang sie hinterhältig und gnadenlos. Er hatte zu lange gezögert! Es war alles verloren!
    Nein! So schnell wollte er nicht aufgeben. Er klemmte sich das Buch unter den Arm und hastete die Treppen zu seiner früheren Wohnung hinauf. Von unten hörte er erneut das Pochen. Vor seinem geistigen Auge sah er die Soldaten des Stadtschutzes mit dem Schwertgriff gegen die Tempelpforte donnern.
    Schnell! Ihm blieb nicht mehr viel Zeit!
    Er schloss die Tür, verriegelte sie und schob eine Kommode davor.
    Stadtschutz! Was für eine beschönigende Umschreibung für eine Bande von Dämonen! Noch standen sie sicher in ihrer Menschengestalt draußen, aber wenn sie erst eingedrungen und geschützt vor den Blicken der Passanten waren, würden sie ihre Tarnung aufgeben. Wenn sie ihn in ihren Fängen hatten, gab es für Zamorra nichts mehr, was er tun konnte. Seine fürchterlichen Visionen würden sich erfüllen.
    Vielleicht kommt es doch nicht so schlimm! Schließlich hat Merlin die Erbfolge gereinigt. Wenn sie nicht zu einem Werkzeug des Guten geworden wäre, hätte er Logan nie davon überzeugt, die Erbfolge fortzusetzen! Andrerseits ist Rhett auf die Seite des Bösen zurückgekehrt. Änderte das nicht alles?
    Was für Gedanken waren das? Wer waren Merlin, Logan und Rhett?
    Schwindel erfasste Zamorra. Er war nicht Invo Tanaar! Seine Seele steckte in dessen Körper, mehr nicht! Aber dieses Mal war es wirklich knapp gewesen! Beinahe hätte er sich verloren, wäre eins geworden mit seinem Wirt. Im letzten Augenblick hatte er zu sich zurückgefunden. Noch einmal gelang ihm das nicht, das wusste er.
    Das Splittern von Holz
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