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0932 - Grausame Zeit

0932 - Grausame Zeit

Titel: 0932 - Grausame Zeit
Autoren: Jason Dark
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Bildern der morgendlichen Serien berieseln lassen und nahm sie sogar noch in einem halb betrunkenen Zustand wahr.
    Leider funktionierte die Fernbedienung nicht mehr. In einem ihrer Rauschzustände hatte sie das Gerät vor Wut zertreten, weil es angeblich nicht mehr funktionierte. Dabei waren nur die Batterien leer gewesen.
    Um die Glotze einzuschalten, mußte sie aufstehen und den Apparat manuell bedienen. Das wollte sie nicht. Sich zu erheben, hätte eine gewisse Anstrengung bedeutet. Sie fühlte sich zwar nicht unbedingt müde, aber der genossene Weinbrand hatte sie in einen Zustand der Lethargie hineingebracht, in dem ihr vieles egal war.
    So blieb die Mattscheibe grau wie ihr Leben, auf das sie am liebsten gespuckt hätte. Helga Stolze murmelte etwas vor sich hin, sah wieder die Flasche und streckte bereits den Arm aus, um den nächsten morgendlichen Schluck zu nehmen, als sie gestört wurde, denn das in der Nähe stehende Telefon tutete.
    Zuerst verzog sie das Gesicht. Das Geräusch drang einfach zu scharf und laut durch ihren mißhandelten Kopf. Schon einmal war sie fast dicht daran gewesen, das Telefon aus dem Fenster zu werfen, hatte zum Glück davon Abstand genommen.
    Sie bewegt ihre Hand in eine andere Richtung. Der Apparat stand auf der Fensterbank. Die geringelte Schnur zog sich in die Länge, als Helga den Hörer an ihr Ohr preßte und sich mit einem brummigen Wort meldete, das kein Anrufer verstehen konnte.
    »Mutti…?«
    Helga Stolze lachte blechern auf, denn sie hatte die Stimme ihres Sohnes gehört. »Was ist denn, Jens?«
    »Äh - geht es dir gut?«
    »Hör auf mit dem Mist!« murmelte sie.
    »Ich wollte dir nämlich nur etwas sagen.«
    »Mach schon.«
    »Wir sind nicht mehr in der Schule. Wir haben frei bekommen, verstehst du, Mutti?«
    Klar, sie hatte verstanden, aber sie begriff den Grund nicht. »Warum das denn? Haben die Pauker keine Lust?«
    »Wegen der Kirmes.«
    »Was?«
    »Ja, es ist doch Kirmes in der Stadt. Und da hat man uns freigegeben. Zumindest die letzten beiden Stunden. Silvia und ich wollen auf die Kirmes gehen und uns dort umschauen. Wir kommen dann erst später nach Hause. Am Nachmittag.«
    »Ja, gut.« Helga schniefte. »Habt ihr denn Geld?«
    »Etwas schon.«
    »Ich habe nämlich nichts.«
    »Brauchst du auch nicht, Mutti. Wir haben dir nur Bescheid sagen wollen, damit du dir keine Sorgen machst.«
    »Klar, ist schon gebongt.«
    Eigentlich hätte Jens jetzt auflegen müssen, aber etwas hielt ihn zurück.
    »Mutti«, seine Stimme nahm einen weinerlichen Tonan. »Warum hast du denn wieder getrunken? Du weißt doch, daß wir - ich meine, wir brauchen dich doch…«
    Helgas Lippen zuckten. Sie war nicht so betrunken, als daß sie die Worte nicht begriffen hätte, und sie fühlte Eis über ihren Rücken laufen.
    Ihre Hand wurde schwer, Tränenwasser trat in ihre Augen. Die Stimme des Jungen hatte sie bereits wie aus einer großen Ferne gehört.
    »Schon gut«, sagte sie.
    »Mutti, du…«
    Helga Stolze legte auf. Hätte sie es nicht getan, dann hätte der Junge das Weinen gehört, das sie wie ein gewaltiger Ansturm überkommen hatte. So aber blieb sie allein, und ihr Kopf sank dem Küchentisch entgegen, den sie bald mit der Stirn berührte.
    Es war so beschissen, so schrecklich, so anders geworden. Sie kam nicht mehr zurecht. Sie hatte keine Kraft mehr gefunden. Das Leben war an ihr vorbeigelaufen. Sie fühle sich einsam und so schrecklich allein, wie eine Gefangene. Helga wußte über ihre eigene Unzulänglichkeit, aber sie hatte nicht mehr die Kraft, dagegen anzugehen. Sie mußte sich dabei mit den eigenen Händen aus dem Sumpf hervorziehen, aber das würde sie wohl nicht schaffen.
    Sie weinte. Ihre Nase war verstopft. Sie griff in die Kitteltasche, wo ein Papiertuch steckte. Sie putzte sich die Nase, das Tuch fiel ihr aus der Hand und blieb neben dem Stuhl liegen. Helga kümmerte sich nicht darum.
    Es war ein schlimmes Leben. Von einer Depression in die andere fallend, das konnte man nicht lange durchhalten. Irgendwann war endgültig Schluß, alles vorbei und…
    Etwas störte sie.
    Bisher war es in der Küche still gewesen. Auch aus dem Hausflur hatte sie keine Geräusche gehört, nur sie selbst hatte Laute produziert, aber die anderen, die Stimme sogar, die bildete sich Helga bestimmt nicht ein.
    So betrunken war sie nicht. Sie hatte das geheimnisvolle Flüstern deutlich gehört.
    Ihr Gesicht war verquollen, die Augen waren es ebenfalls, und mit einer sehr langsamen Bewegung
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