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093 - Neun Leben

093 - Neun Leben

Titel: 093 - Neun Leben
Autoren: Claudia Kern
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bekam, ob es nun der Stuhl eines Barbiers oder ein Fischernetz war, das jemand vor dem Haus zum Trocknen aufgespannt hatte.
    Sie benötigte jedes bisschen Vorsprung, das sie kriegen konnte.
    Die Gassen wurden schmaler, die Trümmerfelder größer.
    Aruula hatte gehofft, ein Versteck zu finden, aber die Menge ließ ihr nie genug Zeit. Die Menschen schienen zu spüren, dass das Ende der Jagd nahe war. Bereits jetzt konnte Aruula die hölzernen Palisaden auf ihrer rechten Seite zwischen den Ruinen hindurch schimmern sehen. Wenn sie den Zaun erst einmal erreicht hatte, gab es kein Entkommen mehr.
    Sie bog in eine schmale Gasse zwischen umgestürzten Ruinen ein und hoffte, dass dieser Weg sie weiter vom Zaun wegbringen würde. Das Johlen hinter ihr gab jedoch keinen Anlass zur Hoffnung.
    Aruula bemerkte ihren Fehler bereits wenige Schritte später.
    Sie war in eine Sackgasse geraten, die in einer hohen Häuserwand endete. Hütten lehnten daran, waren mehrstöckig in die Wand hinein gebaut. Vor einer Tür saß ein alter Mann und rupfte einen Vogel. Er hielt den Kopf gesenkt und war völlig in seine Arbeit vertieft.
    »Gibt es einen Weg hier raus?!«, rief Aruula ihm zu, doch der Mann reagierte nicht, säuberte den Vogel in aller Ruhe weiter.
    Entweder wollte er nicht antworten oder er war taub.
    Sie sah sich um. Die Balken, auf denen die Hausdächer ruhten, sahen stabil aus. Mit ein wenig Glück…
    »Wir haben sie!«
    Zusammen mit dem Ruf flog ein Speer auf Aruula zu. Sie schlug ihn mit dem Schwert zur Seite, steckte es in der gleichen Bewegung in die Rückenkralle und sprang aus dem Stand nach oben. Ihre Finger schlossen sich um den Balken. Sie zog sich daran hoch, griff mit einer Hand bereits nach der nächsten Bohle, die aus der Wand ragte.
    Ein Speer bohrte sich in das strohgedeckte Haus, mehr als eine Armeslänge entfernt. Aruula wusste, dass sie noch Glück hatte, von Händlern und Fischern verfolgt zu werden. Ein echter Krieger hätte sie längst getroffen.
    Das Stroh verbarg sie vor den Blicken der Menschen, als sie weiter in das Dach hineinstieg. Unter ihr hatte der alte Mann jetzt den Vogel beiseite gelegt und sah ihr kopfschüttelnd nach.
    Ein paar besonders Eifrige begannen ihr hinterher zu klettern.
    Die Balken endeten am Rand einer Ruine. Aruula kletterte durch etwas, das einmal ein Fenster gewesen war, und sprang in das zerstörte Haus. Sie blickte kurz zurück, konnte jedoch niemanden sehen. Das Stroh verwehrte ihr die freie Sicht auf die Verfolger. Nur ihre Rufe hörte sie noch.
    Aruula bewegte sich langsam und konzentriert durch die Trümmer und die Schlingpflanzen, die längst von den Räumen Besitz ergriffen hatten. Sie wanden sich durch verrostete Metalltische, an grün verschimmelten Wänden entlang und über die verrotteten, halb eingestürzten Decken. Alte Gebäude wie dieses konnten leicht zu Todesfallen werden.
    Obwohl ihr Instinkt forderte, nach unten zu gehen, zwang Aruula sich dazu, das genaue Gegenteil zu tun und ihr Glück in einer Flucht über die Dächer zu suchen. Die Menge hatte die Gassen rund um das Gebäude mit Sicherheit abgeriegelt.
    Sie kletterte an den Schlingpflanzen weiter nach oben, brachte mehrere Stockwerke hinter sich, bis sie endlich im Freien stand.
    Irgendwo unter ihr polterte etwas. Ein Mann stöhnte, ein anderer fluchte. Anscheinend waren auch die Kletterer ins Gebäude gelangt.
    Aruula sah zur nächsten Ruine. Sie war ebenso eingestürzt, wirkte jedoch noch schlechter erhalten. Die Schlingpflanzen überbrückten die Entfernung zwischen den beiden Dächern. Sie zögerte einen Augenblick, bevor sie mit beiden Händen in die Pflanzen griff und sich an ihnen entlang hangelte. Wenn ihre Verfolger sie jetzt entdeckten, war sie praktisch hilflos.
    Nervös sah sie nach unten. Sie befand sich auf der anderen Seite der Gasse, und von der Menge war nichts zu sehen.
    Trotzdem verzog sie jedes Mal das Gesicht, wenn sie Blätter abtrennte, die dann nach unten taumelten. Sie war weniger als zwanzig Schritte vom Boden entfernt. Selbst die ungeübten Verfolger würden sie im dritten oder vierten Anlauf treffen.
    Endlich spürte sie Stein unter den Fingerspitzen. Aufatmend schwang sie sich über die Kante auf das Dach des nächsten Hauses. Es war wie ein kleiner Urwald; neben den Schlingpflanzen und dem Moos wuchsen sogar Bäume aus den Stockwerken. Aruula griff nach ihrem Schwert, aber eine tiefe Stimme stoppte sie.
    »Lass das.«
    Erschrocken fuhr sie herum und sah einen bärtigen
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