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0925 - Blutzoll

0925 - Blutzoll

Titel: 0925 - Blutzoll
Autoren: Jason Dark
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sie stehen wie zwei Leibwächter.
    Wir schauten Eric an.
    Er litt, und er hatte uns dabei noch nicht zur Kenntnis genommen. Sein Kopf war nach vorn gesunken, aus dem Gesicht tropfte das Blut zu Boden.
    »Warum leidet er?« flüsterte Shao.
    Ich hob nur die Schultern.
    »Den Schatten sehe ich nicht«, sagte Suko.
    »Stimmt.«
    Wir entdeckten auch das Totenbuch nicht, obwohl wir in alle Ecken schauten. Möbel gab es in diesem Haus nicht. Da ich nur einen der beiden Schalter gedrückt hatte, hielt sich die Helligkeit in Grenzen und ließ auch einige Schatten zu, die sich in dem Atelier verteilten. Eric war tot, er lebte trotzdem, und er litt. Er hatte seinen Schatten verkauft. Er war gestorben, aber er fand sich nicht mehr in der Welt zurecht, aus der er stammte. Er irrte umher, er war noch immer nackt und existierte nach anderen Gesetzen.
    Wir bekamen mit, wie er seine Hände bewegte und damit die Haut in seinem Gesicht knetete. Das Blut floß durch diesen Druck noch stärker. Es rann über sein Gesicht und tropfte zu Boden.
    »Er zahlt den Blutzoll«, sagte ich leise, »aber an wen? Warum muß er das tun?«
    »Du kennst ihn, John. Sprich ihn an.«
    Das hatte ich sowieso vorgehabt und nickte meinem Freund zu. Als ich auf Eric Canetti zuging, rührte er sich nicht, und er kümmerte sich auch nicht um mich, als ich vor ihm stehenblieb und mein Schatten auf ihn fiel.
    Ich wollte ihm ins Gesicht schauen, ging deshalb vor ihm in die Hocke, während meine Freunde die Umgebung genau im Auge behielten und auf jede Feindeinwirkung sofort reagieren konnten.
    »Eric«, sagte ich leise.
    Er reagierte nicht. Seine Hände waren ebenfalls blutig. Er ließ sie abtropfen.
    Ich faßte ihn an.
    Seine Schulter war kalt. Die Haut fühlte sich unter meinen Handflächen an wie altes Fett, das dünn über den Knochen lag. Auch jetzt tat Eric nichts. Erst als ich ihn schüttelte, wurde er aus seinem Zustand hervorgerissen und hob den Kopf.
    Ich schaute ihm in die Augen. Sie waren glanzlos und wirkten wie die eines Toten. Aber auch in den Pupillen schimmerte Blut. Ich befürchtete, daß er allmählich ausblutete, daß es der Preis für sein neues Dasein war. Erst jetzt entdeckte ich, wie wenig Haare auf seinem Kopf wuchsen. Sie waren glatt zur Seite gekämmt und schimmerten wie eine ölige Schicht.
    Eric hatte sich auf dem Boden abgestützt. Er hatte mich gehört und schaute mich an. Doch ich hatte den Eindruck, als wäre er mit seinen Gedanken woanders und sehr weit weg.
    »Wir kennen uns, Eric. Du erinnerst dich?«
    Er erinnerte sich, zumindest nickte er. Ich hoffte, daß der Kontakt zwischen uns nun intensiver wurde, so daß ich auch Antworten auf meine Fragen erhielt.
    »Warum bist du aus dem Haus verschwunden, Eric? Weißt du das noch?« Er hob die Schultern.
    »Lag es an uns?«
    »Da war etwas…«
    »Was?«
    »Zwischen den Händen.«
    Ich wußte, daß er damit mein Kreuz gemeint hatte. »Ja, es ist etwas dort gewesen«, bestätigte ich, ohne eine genaue Angabe zu machen. »Und es hat eine Mauer aufgerissen.«
    Er bewegte seine Hände und knetete sie. »Ich mußte weg. Ich bin geflohen. Ich wollte hierher, hierher in mein Haus.«
    »Fühlst du dich wohl?«
    »Es ist meine Welt.«
    »Hat hier alles seinen Anfang genommen?«
    »Ja.«
    »Bist du hier gestorben?« Auf diese Frage war es mir angekommen, und ich lauerte auf die Antwort, die er mir zunächst schuldig blieb. Eric hob nur den Kopf. Ich schaute in ein Gesicht, in dem eigentlich kein Leben mehr war. Alterslos wirkte es, zugleich auch starr, und seine Haut hatte einen Stich ins Violette bekommen, als hätte sich tatsächlich eine Leiche verfärbt.
    »Gestorben…?«
    »So sagt man.«
    »Wer?«
    »Die Leute.«
    »Ich habe meinen Schatten abgegeben. Ich bin nicht tot, aber ich fühle mich wie tot. Ich habe das Wichtigste nicht mehr. Es ist kein Motor in mir, es fehlt alles.«
    »Aber du lebst noch.«
    »Manchmal.«
    »O! Kannst du mir das erklären?«
    Er überlegte. »Nicht genau. Ich lebe nur, wenn er es will, das ist alles.«
    »Du meinst den Schatten?«
    »Ja.«
    »Was ist, wenn er es nicht will?«
    Eric überlegte. Er hob die Schultern. »Dann weiß ich nichts mehr. Dann ist alles vorbei. Dann liege ich wohl da.«
    »Schlägt dein Herz noch?« Mit einer Antwort hatte ich nicht gerechnet und war deshalb überrascht, sie trotzdem zu bekommen. »Manchmal schlägt es - wenn er es will. Sonst nicht, sonst steht es still.«
    »Damit meinst du den Schatten?«
    »Ja, wenn er
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