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0912 - Das Weltennetz

0912 - Das Weltennetz

Titel: 0912 - Das Weltennetz
Autoren: Volker Krämer
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die Richtung oder blieben vollkommen sinnlos plötzlich stehen, verharrten lange Minuten, ehe sie ihren Weg fortsetzten. Sie mussten ganz einfach über versteckte Sinnesorgane verfügen, denn nie kam es zu einer Rempelei oder gar einem Zusammenprall. Als Kind hatte Schaina sie für lebende Puppen gehalten. Und vielleicht war dieser Eindruck nicht einmal unbedingt falsch gewesen.
    Doch Schaina war nicht immer Kind geblieben. Irgendwann erwachte in ihr die Neugier, der Forscherdrang. Sie wurde frecher und wagte einfach mehr als früher. Die Urbanen registrierten Schaina nicht, ja, sie nahmen sie nicht einmal wahr. Schaina startete Experimente, die nicht ungefährlich gewesen waren. Einmal hatte sie sogar gewagt, sichtbar zu werden. Sie schlüpfte aus der Phase des Wandeins heraus und war für alle zu sehen. Zunächst schienen die Urbanen keine Notiz von ihr zu nehmen, doch dann spürte Schaina ganz plötzlich, dass sie von den Wesen umkreist war. Und sie kamen bedrohlich näher. Also wurde sie blitzschnell wieder zur Wandlerin, verschwamm mit dem Hintergrund… und die Urbanen setzen ihre Wege fort, als wäre sie nie da gewesen.
    Von diesem Tag an hatte Schaina es nie wieder gewagt, ihre Tarnung zu lüften. Doch sie hatte begonnen, die Geheimnisse der weißen Stadt für sich zu enträtseln. Irgendwann hatte sie dann das unscheinbare Gebäude entdeckt, dass sich über einem Schacht erhob, der in das Innere von Schainas Welt führte. Mit äußerster Vorsicht war sie in die Tiefe gestiegen. Der Schacht endete in einer großen Höhle, die von einem feinen Wurzelgeflecht erfüllt war.
    In der Höhlenmitte angekommen, stand Schaina dann vor einer mächtigen Wurzel, die knorrig und voller tiefer Risse war. Ihre Farbe schwankte von Grau bis Braun, doch das alles war auch mit schwarzen Flecken vermischt, die Schaina zeigten, dass diese Wurzel alles andere als gesund war.
    Die junge Frau war damals wie versteinert stehen geblieben, als sie fühlte, wie etwas nach ihrem Verstand tastete. Sie wollte sich umwenden und zur Oberfläche fliehen, doch sie konnte es nicht. Eine Stimme, die wie ein Nebelhauch erschien, erklang mitten in Schainas Gedanken.
    Du gehörst hier nicht hin - bist keine der Urbanen. So erfuhr Schaina den Namen der merkwürdigen Wesen, die sie aus der Stadt kannte. Willst du mich töten? Ich kann deine Gedanken vor mir sehen… nein, du tötest mich nicht. Geh - lass mich wieder allein. Ich muss all meine Kraft aufbewahren für den einen Tag. Nicht mehr sehr lange… aber ich bin so schwach.
    Die Stimme verhallte, als hätte der Nebel sich nun aufgelöst und Schainas Erstarrung verschwand. Wie von Furien gehetzt floh sie aus der Höhle, sah sich nicht mehr um, bis sie wieder die Oberfläche erreicht hatte. Ohne Zögern floh sie aus der Stadt, die sie eine lange Zeit danach nicht mehr besuchte.
    Kraft für den einen Tag. Diese Worte hatte sie nie vergessen. Irgendetwas hatte ihr heute gesagt, dass dieser Tag nicht mehr fern war. Vielleicht war er bereits angebrochen. Den Schacht hatte sie nach ihrem Erlebnis nie mehr betreten, denn in ihr war eine große Furcht vor dieser Wurzel, die nach Schainas Verstand gegriffen hatte.
    Kraft für den einen Tag…
    Was würde an diesem Tag wohl geschehen? Je näher Schaina dem Haus kam, in dem sie damals den Schacht entdeckt hatte, je unruhiger wurde sie. Unter ihren nackten Fußsohlen fühlte sie ein Kribbeln, das aus der Erde zu kommen schien. Von Schwäche, die sich die Wurzel damals selbst attestiert hatte, war da nichts zu spüren, denn Schaina war sicher, dass dieses Phänomen aus der Höhle kam.
    Schaina empfand Furcht, als sie das Gebäude schließlich erreichte. Sie riss sich zusammen, denn alles in ihr sträubte sich dagegen, erneut in den Schacht zu steigen. Nur wenige Schritte, dann war ihr klar, dass sich hier etwas Entscheidendes abgespielt haben musste. Die Wandlerin setzte vorsichtig Fuß vor Fuß und blieb sofort stehen, als sie gegen einen Widerstand stieß, den es hier zuvor so nicht gegeben hatte, denn bei ihrem ersten Besuch war der Gang absolut frei und begehbar gewesen.
    Schaina bückte sich, denn das Licht der Sonne drang nur spärlich bis hierher vor. Was sie sah, versetzte ihr einen Schock. Am Boden vor ihr lag die Wurzel der weißen Stadt!
    Die Maserung war so eindeutig, dass Schaina absolut sicher war. Sie kam nicht umhin, Trauer zu empfinden, denn die Wurzel war schließlich einmal ein denkendes… Geschöpf gewesen? Da wollte sie sich nicht
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