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0905 - Die Anstalt

0905 - Die Anstalt

Titel: 0905 - Die Anstalt
Autoren: Adrian Doyle
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Paula blieb wie angenagelt stehen, als ihr Blick die offenen Augen des namenlosen Mannes traf.
    Tatsächlich! Er ist tatsächlich zu sich gekommen! , dachte sie wider besseres Wissen. Denn weitere Blicke hin zu den EEG- und EKG-Anzeigen sprachen unmissverständlich eine andere Sprache. Hier hatte sich nichts verändert. Die Werte entsprachen unverändert denen eines Komatösen.
    Aber die Augen.
    Der Blick…
    Schwester Paula trat unwillkürlich näher. Ihr logisches Denken erinnerte sie daran, dass dieser Mann unmöglich den Kopf gedrückt haben konnte, der hoch über seinem Bett den Schwesternruf auslöste. Niemand hatte eine Fernbedienung angeschlossen und ihm in Reichweite seiner Hände platziert. Niemand hatte auch nur eine Sekunde erwartet, dass Patient X sie jemals bedienen würde. Alarm schlugen normalerweise die Geräte der Hirnstrom- und Kreislauf Überwachung.
    Vielleicht hat er sich einfach schon wieder beruhigt, dachte Paula Finnegan.
    Doch auch diese Erklärung hinkte. Wenn die Augen des Mannes offen standen wie jetzt, hätten auch die Anzeigen andere Werte wiedergeben müssen. Dies waren die Charakteristika eines Schläfers . Eines Menschen, der von einem bislang nicht ermittelbaren Ereignis in ein tiefes Koma geschleudert worden war.
    Draußen auf dem Flur summte immer noch der Warnton.
    Paula schaltete ihn an der Wandtafel im Eingangsbereich ab. Es wurde still. Gleichzeitig begann das Neonlicht zu flackern. Alle Deckenröhren gleichzeitig. Der Mann auf dem Bett wurde abwechselnd sicht- und unsichtbar.
    Schritte lenkten Paula Finnegan ab. Hinter ihr trat Dr. Pickwick ins Zimmer.
    Allan.
    »Was ist?«, fragte er. »Probleme? Warum hast du nicht gleich gerufen? Ist er etwa -«
    Da. Verschwunden. Da. Verschwunden. Da…
    Der Takt der Neonröhren projizierte ein visuelles Stakkato auf den Patienten. Allerdings, wie Paula erst mit Allans Erscheinen bewusst wurde, sonderbarerweise nur auf den Patienten… Was sie zu ihrem Irrtum führte: Es war gar nicht das Raumlicht, das den Effekt verursachte. Es war… der Komaschläfer selbst!
    Er flackerte.
    Er war für einen Sekundenbruchteil sichtbar - und im nächsten verschwunden. Da. Weg. Da. Weg…
    »S-siehst du das?«, stammelte Paula.
    »Bin ja… nicht blind!«, keuchte Allan Pickwick, als hätte er gerade den Weg in den siebten Stock ohne Aufzug und im Joggingtempo hinter sich gebracht. »Grundgütiger, wir müssen… diesen Hogarth informieren - du kennst… die Weisung!«
    Statt ihre Antwort abzuwarten, wandte er sich selbst um, wollte den Raum verlassen.
    Aber er kam nicht weit.
    Paula Finnegan sah das Phänomen, das sich aus dem sie ruhig anstarrenden Patienten löste. Es war wie eine Art wasserlose Welle. Und diese Welle spülte sowohl über Schwester Paula, als auch über Dr. Pickwick hinweg, bevor sie an Kraft verlor und auslief.
    Sofort setzte die Verwandlung ein. Und auch die angrenzenden Zimmer blieben nicht verschont.
    Patient X war erwacht.
    Mit einem Paukenschlag, der bis ins ferne Frankreich, bis ins Château eines gewissen Professor Zamorra dröhnte…
    ***
    »Autsch!«
    »Was ist? Chérie…?«
    »Geschnitten! Merde !«
    »Was treibst du eigentlich?«
    »Ich verpacke Geschenke.«
    »Geschenke für wen?«
    »Für mich.«
    Vom Arbeitszimmer zum Schlafzimmer war es nicht weit. Verwirrt überwand Zamorra die Distanz, blieb in der offenen Tür stehen und ließ das Chaos, das sich seinen Augen bot, erst einmal wirken: Nicole inmitten eines Sammelsuriums von Gegenständen - Schere, Geschenkpapier, Zierband, Parfumflakon, reizvolle Dessous… und so weiter, und so fort.
    Blut nicht zu vergessen.
    Blut, das Nicoles weiße Hose besudelt hatte und ungehindert weiter aus einem Schnitt ihres linken Handballens floss.
    Zamorra hatte mit weniger Blutvergießen gerechnet. Doch kaum hatte er die Bescherung gesehen, wurde er ganz besorgter Liebender: Er eilte zu Nicole hin, die zwischen all dem Zeug saß und kniete sich neben sie. »Chérie, warte - ich hole dir sofort ein Pflaster. Bis dahin nimm das - ganz frisch!« Aus der Hosentasche zauberte er ein unbenutztes Papiertaschentuch. »Press es drauf. Ich bin gleich wieder da.«
    Ein Kuss auf die Nasenspitze wirkte wahre Wunder. Nicole sah ihn an wie einen Lebensretter. »Du bist so süß… Aber muss Mann die Wunde nicht aussaugen, bevor sie verbunden wird?«
    Ihr Augenaufschlag brachte Zamorras Herz zum Schwingen. »Das verwechselst du mit der Erstversorgung von Schlangenbissen«, sagte er. »Und auch das
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