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0905 - Die Anstalt

0905 - Die Anstalt

Titel: 0905 - Die Anstalt
Autoren: Adrian Doyle
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als Folge des Sturzes nicht völlig ertaubt war - dafür genügte ein Aufstampfen mit dem Fuß, dessen Klang ihn deutlich erreichte -, und anschließend nach dem Rechten zu sehen.
    Im Schein der Lampe gelangte er zur nächstgelegenen Zellentür. Er öffnete die Klappe, hielt das Licht so, dass es ins Innere fallen konnte… und fand die enge Kammer leer und verlassen. Sauber aufgeräumt, als hätte sie seit Langem keinen Bewohner mehr gesehen.
    Rawlings trat einen Schritt zurück und prüfte die Metallmarke, die an einem Nagel hing. Sie war mit einer Nummer versehen. Demnach hätte die Zelle besetzt sein müssen. Die Marken hingen nur an den Nägeln, wenn die Zelle belegt war.
    Konnte der Bewohner sich versteckt haben? Dazu wäre artistisches Geschick nötig gewesen, aber wer mochte das ausschließen?
    Rawlings fischte den Knüppel aus der Gürtelschlaufe und schob den Riegel beiseite. Die Tür schwang auf. Die Lampe in der Linken, den Knüppel in der Rechten, trat Rawlings vorsichtig ein. Noch einmal wanderte sein Blick schnell in jeden Winkel, dann nach oben, weil unter der Decke - wie auch immer - noch der einzige Ort gewesen wäre, wo sich ein Häftling…
    Nichts!
    Die Zelle war leer. Mehr als das: Es gab keine einzige persönliche Habseligkeit, die darauf hätte schließen lassen, dass sie noch bis vor kurzem belegt gewesen wäre.
    Jemand musste versehentlich eine Marke eingehängt haben…
    Rawlings trat zurück auf den Gang. Noch immer war es so still, dass man eine Nadel hätte fallen hören.
    Sein nächster Weg führte ihn zur nächsten Zelle mit Marke.
    Kontrollblick…
    Leer!
    Aufgeräumt und leer, bar jeder Habseligkeit…
    Das - träume ich.
    Lag er immer noch am Boden? Hatte er sich beim Sturz den Kopf angeschlagen, so sehr, dass er nun träumte, oder gar halluzinierte?
    Ächzend wankte Rawlings von Zelle zu Zelle. Der Lampendocht zischte. Zugluft brachte ihn ein ums andere Mal fast zum Verlöschen. Der Wärter schützte die Flamme längst nicht mehr mit der Hand. Er war außer sich. Sein Atem rasselten. Klappe um Klappe fiel. Nirgends fand er eine Menschenseele. Die Stille lastete längst wie ein erstickendes Tuch auf ihm.
    Er rannte und rief wie irre geworden.
    Keine Antwort.
    Der nächste Gang, Dutzende von Zellen… alle leer! Verlassen!
    Wo bin ich? Wo sind die Kreidemarkierungen?
    War da ein Lachen? Dröhnendes, hämisches Gelächter?
    Rawlings blieb wie angewurzelt stehen. Nein. Einbildung. Alles still. Er war der einzige lebende Mensch im Gewirr der Gänge. Der einzige Mensch auf Erden…
    Die Lampe erlosch.
    Rawlings erstarrte.
    Dann suchte er nach Schwefelhölzern.
    Keine mehr da…
    Die Stille begann in seinen Ohren zu dröhnen. Das Lachen kam zurück. Doch keine Einbildung? Er wusste es nicht. Seine Brust wurde eng. Er rang nach Luft.
    »W-wer… ist da?«, fragte er mit zitternder Stimme in die Schwärze.
    Die Zugluft strich wie der Atem eines Wesens über sein Gesicht.
    In Rawlings Brust explodierte ein hässlicher Schmerz. Von irgendwoher erreichte ihn ein schwaches Echo: »Ah, Joseph…«
    Aber etwas sagte ihm, dass damit nicht er gemeint war, sondern…
    ***
    »Ah, Joseph! Hast dich wohl verlaufen?« Jamie Raffles sah seinen Kollegen Rawlings um die Ecke biegen. Er hatte ihn lange nicht mehr gesehen. Hier drinnen konnte man sich eine ganze Weile aus dem Weg gehen - selbst wenn man das gar nicht wollte. »Was macht die Familie?«
    Rawlings schwieg. Er schien Raffles gar nicht zu bemerken.
    Alter, Alter , dachte der Wärter. Ich weiß ja, dass du fast taub bist, aber du musst blind sein, wenn du mich mit meiner Lampe übersiehst…
    Er ging Rawlings entgegen. »Siehst schlecht aus. Geht's dir nicht gut?«
    Stumm kam der andere Wärter auf Raffles zu, der den ersten Tag wieder im Dienst war. Pallister hatte ihm ein paar Tage Ruhe verordnet, nachdem Raffles einen Häftling, Len Corben, auf unheimliche Weise tot in seiner Zelle gefunden hatte…
    Raffles versuchte, das Bild, wie Corben in der Wand gesteckt hatte, gar nicht erst in sich aufkommen zu lassen. Ein höllischer Spuk hatte seinen Schabernack mit ihm getrieben. Später war Corben verschwunden gewesen. Und es geblieben, spurlos, bis heute. Entweder hatten ihn andere beseitigt, oder die Wand hatte ihn vollends verschluckt…
    Weder Pallister noch sonst jemand hatte Raffles darauf eine schlüssige Antwort geben können.
    Inzwischen glaubte er an eine Täuschung als Folge von Überarbeitung, Schlafmangel… was auch immer.
    Daran
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