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09 - Vor dem Tod sind alle gleich

09 - Vor dem Tod sind alle gleich

Titel: 09 - Vor dem Tod sind alle gleich
Autoren: Peter Tremayne
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weil sie ihm mit einem lateinischen Zitat gekommen war, und übersetzte: »›Ein weiser Mann behauptet nichts als wahr, was er nicht beweisen kann.‹ Es wäre doch besser, wenn du das Urteil des Richters abwarten würdest?«
    »Nun, die Tatsachen sind schon klar. Nicht einmal die Mönche versuchen ihn zu verteidigen. Es heißt, der Angelsachse sei ein Mönch, deswegen könnte man denken, sie würden seine Verruchtheit decken. Er verdient sein Urteil.«
    Verärgert starrte Fidelma ihn an.
    »Das ist doch keine Rechtsprechung«, schnaubte sie. »Ein Mensch muß ein Gerichtsverfahren bekommen, bevor man ihn verurteilt und bestraft. Man kann niemanden bestrafen ohne ein Urteil der Brehons.«
    »Aber der Mann hat doch schon sein Verfahren gehabt, Schwester, er ist verhört und verurteilt worden.«
    »Schon verurteilt?« Fidelma konnte ihr Entsetzen nicht verbergen.
    »Es heißt aus Fearna, gegen ihn ist verhandelt und er ist für schuldig befunden worden. Der Brehon des Königs ist von seiner Schuld überzeugt.«
    »Der Brehon des Königs? Sein Oberrichter? Meinst du Bischof Forbassach?« Fidelma bemühte sich ruhig zu bleiben.
    »Genau den. Kennst du ihn?«
    »Den kenne ich allerdings.«
    Fidelma erinnerte sich mit Bitterkeit. Bischof Forbassach war ihr Gegner von früher her. Sie hätte sich denken können, daß er dahintersteckte.
    »Wenn der Angelsachse schuldig ist, was verlautet über seine Strafe? Wie hoch ist der Sühnepreis? Welche Entschädigung verlangt man von ihm?«
    Nach dem Gesetz hatte jeder, der des Totschlags schuldig befunden wurde, wie bei allen anderen Verbrechen eine Entschädigung zu zahlen. Sie wurde die eric -Strafe genannt. Jeder Mensch in der Gemeinschaft hatte einen Sühnepreis, der sich nach seinem Rang und seiner Stellung richtete. Der Täter hatte die Entschädigung an das Opfer zu zahlen oder im Falle des Totschlags an dessen Angehörige. Dazu kamen noch die Gerichtskosten. Bei schweren Verbrechen büßte der Schuldige auch alle seine Bürgerrechte ein und mußte in der Gemeinschaft arbeiten, um sich zu rehabilitieren. Tat er das nicht, konnte er zum Wanderarbeiter heruntergestuft werden, der kaum höher stand als ein Sklave. Diese Leute hießen daer-fudir. Allerdings verfügte das Gesetz weise: »Jeder Tote löscht seine Schuld.« Kinder von Schuldigen wurden mit demselben Sühnepreis wieder in die Gemeinschaft aufgenommen, den ihr Vater oder ihre Mutter besessen hatten, bevor sie des Verbrechens schuldig befunden wurden.
    Der Schafhirt starrte Fidelma an, als sei er von der Frage überrascht.
    »Es wird keine eric -Strafe von ihm verlangt«, sagte er schließlich.
    Das verstand Fidelma nicht, und sie sagte es auch.
    »Von welcher Strafe ist dann die Rede?«
    Der Schafhirt setzte seinen leeren Krug ab, wischte sich den Mund mit dem Ärmel und stand auf, um zu gehen.
    »Der König hat erklärt, das Urteil solle nach den neuen christlichen Bußgesetzen gefällt werden, diesem neuen Rechtssystem, das wohl von Rom kommt, wie es heißt. Der Angelsachse ist zum Tode verurteilt. Ich glaube, er ist schon gehängt worden.«

Kapitel 2
    Mit langsamen Schritten traten die Mönche aus der bronzebeschlagenen Eichentür der Kapelle heraus in das kalte graue Licht des Mittelhofs der Abtei. Es war ein großer Hof, mit dunklen Granitplatten ausgelegt, auf allen vier Seiten erhoben sich die hohen, freudlosen Steinmauern der Abteigebäude und ließen den Innenraum kleiner erscheinen, als er in Wirklichkeit war.
    Die Reihe der kapuzentragenden Mönche, an der Spitze ein Bruder mit einem reichverzierten Metallkreuz, bewegte sich in gemessenem Schritt und mit gesenkten Köpfen. Sie hatten die Hände in den Falten der Kutten verborgen und sangen einen lateinischen Psalm. In kurzem Abstand hinter ihnen kam eine ähnliche Zahl von kapuzentragenden Nonnen, die ebenfalls die Köpfe gesenkt hielten und die Oberstimme des Psalms sangen. Das Echo in dem engen Raum erzeugte einen grausigen Effekt.
    Sie stellten sich an zwei Seiten des Hofes auf, mit dem Gesicht zu einer hölzernen Plattform, auf der eine seltsame dreieckige Konstruktion aus aufrechten Pfählen errichtet war, die ein Dreieck von Balken trugen. An einem Balken hing ein Seil mit einer Schlaufe. Dicht unter die Schlaufe hatte man einen dreibeinigen Schemel gestellt. Neben dieser düsteren Vorrichtung stand breitbeinig ein hochgewachsener Mann. Er war bis zum Gürtel nackt und hielt die starken, muskulösen Arme über der breiten, behaarten Brust gekreuzt.
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