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09 - Denn sie betrügt man nicht

09 - Denn sie betrügt man nicht

Titel: 09 - Denn sie betrügt man nicht
Autoren: Elizabeth George
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hilflos, erklärte ihr Azhar. Im Sinn von machtlos oder unfähig, etwas zu bewirken. Ein Wort, das man gebrauchen könne, um einen Menschen zu beschreiben, der allein und ohne Freunde in einem fremden Land sei und sich dort in Knechtschaft gefangen sehe, aus der es keinen Ausweg zu geben scheine.
    Emily nickte vorsichtig, aber die Skepsis in ihrem Gesicht ließ erkennen, daß sie erst noch von Azhars Argumentation überzeugt werden mußte.
    Der andere Anruf habe einem Mufti gegolten, einem Rechtsgelehrten, fuhr Azhar fort. Bei diesem Mann hatte Querashi nur auf eine Frage Antwort gesucht: Konnte ein Moslem, der eine schwere Sünde begangen hatte, ein Moslem bleiben?
    »Sergeant Havers hat mir das alles bereits erzählt, Mr. Azhar«, sagte Emily.
    »Dann wissen Sie, daß man nicht im Widerspruch zur Glaubenslehre des Islam leben und ein Moslem bleiben kann. Aber das hat Muhannad getan. Und dem wollte Haytham Querashi ein Ende bereiten.«
    »Aber hat Querashi es nicht auch selbst getan?« wandte Barbara ein. »Ich spreche von seiner Homosexualität. Sie haben mir gesagt, Homosexualität sei verboten. Könnte er nicht den Mufti angerufen haben, um über sein eigenes Seelenheil zu sprechen statt über Muhannads?«
    »Das wäre möglich«, gab Azhar zu, »aber wenn man es mit allem anderen, was er getan hat, in Verbindung bringt, scheint es unwahrscheinlich.«
    »Wenn man Hegarty glauben kann«, sagte Emily, »wollte Querashi sein Doppelleben auch nach seiner Heirat weiterführen. Sein eigenes Seelenheil kann ihm also nicht so wichtig gewesen sein.«
    »Die Sexualität ist eine mächtige Triebfeder«, bekannte Azhar, »mächtiger manchmal als persönliche und religiöse Pflichten. Für sie sind wir bereit, alles aufs Spiel zu setzen. Unsere Seele. Unser Leben. Alles, was wir haben und was wir sind.«
    Barbara sah ihn an. Angela Weston, dachte sie. Wie mußte das für ihn gewesen sein: der verzweifelte Entschluß, alles, was man kannte, glaubte und bisher hochgehalten hatte, in den Wind zu schlagen, um das Unerreichbare zu erlangen?
    Azhar fuhr fort: »Mein Onkel - ein frommer Mann - hat von den Geschäften seines Sohnes ganz sicher nichts gewußt, und ich denke, eine gründliche Durchsuchung seiner Firma und eine Prüfung der Papiere seiner pakistanischen Angestellten wird das beweisen.«
    »Sie wollen doch nicht behaupten, daß Muhannad diese Geschäfte ganz allein und auf eigene Faust betrieben hat«, entgegnete Emily. »Sie haben gehört, was Kumhar erzählt hat. Es gab noch mehr. Er hat drei Männer gesehen, aber es können leicht mehr gewesen sein.«
    »Aber nicht mein Onkel. Sicher hatte Muhannad Partner in Deutschland. Und auch hier. Ich zweifle nicht an Mr. Kumhars Worten. Dieses Unternehmen läuft vielleicht schon seit Jahren.«
    »Er könnte es auf der Universität ausgeheckt haben, Em«, bemerkte Barbara.
    »Zusammen mit Rakin Khan«, stimmte Emily zu. »Mr. Alibi. Sie haben zusammen studiert.«
    »Ich wette, bei einer Überprüfung Klaus Reuchleins wird sich herausstellen, daß die sich alle drei von früher kennen«, fügte Barbara hinzu.
    Azhar zuckte die Achseln. »Ganz gleich, wie es zu diesen Geschäften kam, Querashi hat sie aufgedeckt.«
    »Zusammen mit Hegarty, wie der uns erzählt hat«, bemerkte Barbara. »An dem Abend, als die beiden im Castle Hotel waren.«
    »Es war Haythams Pflicht als Moslem, der Sache ein Ende zu bereiten«, erklärte Azhar. »Er wird Muhannad darauf hingewiesen haben, daß seine unsterbliche Seele in Gefahr sei. Und das wegen der niedrigsten aller Begierden: seiner Geldgier.«
    »Tja, aber was war dann mit Querashis eigener unsterblicher Seele?« wandte Barbara hartnäckig ein.
    Azhar sah sie direkt an. »Ich vermute, dieses Problem hatte er für sich bereits gelöst, indem er sein Verhalten auf irgendeine Weise vor sich rechtfertigte. Es fällt uns Menschen leicht, unsere fleischliche Lust zu rechtfertigen. Wir nennen es Liebe, wir nennen es die Suche nach einem Seelenfreund, wir behaupten, es sei stärker als wir. Wir lügen, um zu bekommen, was wir haben wollen. Und wir machen uns vor, wir folgten dem Ruf unseres Herzens, vorbestimmt von einem Gott, der in uns Begierden weckt, die befriedigt werden sollen.«
    Er hob die Hände in einer Geste der Hinnahme. »Keiner von uns ist gegen diese Art der Selbsttäuschung gefeit. Aber Haytham hätte Muhannads Sünde als die schwerere betrachtet. Sein Verstoß gegen den Glauben betraf einzig ihn selbst. Es ist möglich für die
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