0899 - Schwanengesang

furchtbarer sein kann als diese Horrorfilme, vor denen ich mich immer gefürchtet habe. Wissen Sie, in der Schwarzen Gruft befinden sich die Seelen toter Tanaar. Aber es gibt auch eine Schöpferkraft, die alles Lebendige, was der Gruft zu nahekommt, ansaugt und zu Tanaar umwandelt.«
    »Ja«, bestätigte der Meister des Übersinnlichen. »Auch mich wollte diese Schöpferkraft, wie Sie es nennen, umwandeln. Aber ich hätte auch das Bewusstsein eines Tanaar erhalten, ich wäre ein vollkommenes Echsenwesen geworden. Die Umwandlung hatte bereits begonnen, als das Amulett mich beschützte. Ich hatte nämlich bereits andere Wahrnehmungen, fremdartige.«
    »Es könnte damit zusammenhängen, dass du magisch begabt bist und Patty nicht«, schlug Gryf vor. »Vielleicht können nur magische Wesen zu astreinen Tanaar mutiert werden.«
    »Möglich. Aber warum haben Sie sich nicht gleich bei unserer ersten Begegnung geoutet? Sie hätten uns doch sagen können, wer Sie wirklich sind.«
    »Merlin wollte das nicht«, antwortete der Silbermonddruide.
    »Nicht Merlin. Alice O'Leary, diese Rothaarige, hat mich eines Nachts, als ich schon Tanaar war und die Menschen im Steinbruch bewachte, heimlich aufgesucht. Sie sagte, sie sei ein Feind Lhaxxa-Toks und würde ihn bekämpfen. Sie wisse, was mit mir geschehen sei und wolle mich als Verbündete haben. Als Geheimagentin sozusagen. Ich dürfe aber niemandem verraten, dass mein menschliches Bewusstsein noch zum großen Teil vorhanden sei. Sie wollte, dass ich in dem Moment, wenn das Chaos beim Endkampf am größten ist, ein Pulver auf die riesige vierköpfige Statue schütte. Sie hat es mir kurz zuvor gegeben und ich habe es getan. Wenn alles vorbei sei, dann würde ich wieder Mensch werden, hat sie versprochen.«
    »Merlin hat schon viel versprochen und es dann nicht gehalten«, murmelte Gryf und kniff dabei die Augen zusammen. »Aber das kriegen wir wieder hin, Patty, versprochen. Und ich halte meine Versprechen, definitiv. Übrigens, Alice O'Leary und Merlin sind tatsächlich ein- und dieselbe Person.«
    »Was definitiv nicht sein kann«, drängte sich nun Zamorra vor. »Merlin ist schwer verletzt und liegt in der Regenerationskammer. Nun schieß mal los, mein Lieber. Auf deine Erklärungen bin ich absolut gespannt. Ich lechze sogar förmlich danach.«
    ***
    »Alles kann ich mir auch nicht erklären«, begann Gryf, während sie unter einem funkelnden Sternenzelt draußen im Steinbruch von Lairn saßen. »Zum Beispiel, warum Merlin die Regenerationskammer plötzlich verlassen und zumindest eine seiner Inkarnationen losschicken kann. Eigentlich ist das noch gar nicht möglich, da muss ich dir Recht geben. Und doch war das zweifelsfrei Merlin.«
    »Gut. Dann fang jetzt einfach mal von vorne an. Vielleicht kommen wir ja dann auf des Rätsels Lösung.«
    »Ja. Hm, wo fange ich an?«
    »Bitte nicht bei Adam und Eva.«
    »Schon gut. Aber kurz dahinter.« Gryf grinste. »Also, wie du weißt, bin ich über 8000 Jahre alt. In dieser Zeit habe ich mich oft unter Menschen aufgehalten und deren Geschicke ein wenig mitbestimmt. Vor allem bei den druidenlastigen Völkern wie den Kelten und deren Anverwandten war ich schwer aktiv. Immer wieder mal habe ich selbst die Position des jeweiligen Druiden übernommen, weil das entweder weltpolitisch wichtig war oder einfach nur Spaß gemacht hat.«
    »Ja, weil du dadurch leichter an die Häuptlingstöchter rangekommen bist.«
    »Auch das, Zamorra, auch das«, grinste Gryf. Doch er wurde schnell wieder ernst. »Es muss so um etwa 2500 vor Christus gewesen sein, als ich beim Stamm der Drainoch im schottischen Hochland lebte und deren Druide war. Die Drainoch gehörten zu dem Volk, das die Römer später Picti, die Bemalten, nannte.«
    »Ah, die Pikten also. Du warst Druide bei den Pikten.« Zamorra nickte. »Meines Wissens ist deren Herkunft bis heute nicht geklärt, sie scheinen aber keine Kelten gewesen zu sein, sondern wesentlich älter als diese.«
    »Stimmt, aber das erzähle ich dir ein anderes Mal, wenn's dich interessiert. Die Piktenstämme selber nannten sich zu jener Zeit Cennalath-Mioch, was einfach ›Die Menschen‹ bedeutet. Ich war auf jeden Fall schon viele Jahre Druide bei den Drainoch und hatte den Namen Gartnait mac Dolmech angenommen. Bei den Drainoch gefiel es mir ganz gut, denn die Tochter des obersten Rinderhüters war eines der schönsten Mädchen, die mir bis dahin begegnet waren und ich hatte sie tatsächlich geheiratet. Sie hieß Bridei