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0885 - Die Kralle des Jaguars

0885 - Die Kralle des Jaguars

Titel: 0885 - Die Kralle des Jaguars
Autoren: Simon Borner
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unsichtbare Klaue das noch schlagende Herz hochhob und ebenso unsichtbare Reißzähne ein Stück des rohen Fleisches herausrissen. Kaum war das geschehen, ivurde das Herz Haberlands weitergereicht, und mir wurde bewusst, dass dieser Raum mit einer unzähligen Menge Geister gefüllt war. Doch die Stimme neben mir verhinderte, dass ich erneut vor Entsetzen die Augen schloss. Ich spürte einen kalten Hauch vor meinem Gesicht, als wische eine Geisterhand über meine Lider. Zu meinem Entsetzen konnte ich die Augen jetzt nicht mehr schließen!
    »Sieh die Macht des Jaguars. Du musst hinsehen! Sonst werde ich dafür sorgen, dass dir dasselbe passiert und schlimmeres. Copán braucht dich, Schreiber!«
    Und so sah ich, dass jede Gestalt, die ein Stück des Herzens gegessen hatte, allmählich sichtbar wurde. Nach ein paar Minuten ivar ich umringt von Mayas, alle gekleidet in prächtige Gewänder, bestickt mit Jadeperlen, bunten Papageienfedern und Goldplättchen. Doch ihre Gestalten schienen halb verfault, dem einen fehlte ein Auge, dem anderen ein großes Stück des Gesichts, beim nächsten gähnte statt der Nase ein breites Loch, und allen hing die vergilbte Haut und das verweste Fleisch in Streifen an den Knochen. »Gib ihn uns, gib ihn uns, wir wollen Nahrung, wir brauchen Nahrung, Fleisch , ein lebendes Herz!« Ich war trotz dieser grausamen Stimmen noch nicht imstande, mich zu rühren, aber der Hass auf diese . .. diese verfluchten Geister, die meinen braven Assistenten getötet hatten, gab mir die Kraft, ihnen mutig ins Angesicht zu sehen.
    »Nein!« Ohne dass die Stimme meines Begleiters lauter wurde, war deutlich, dass er keinen Widerspruch duldete. »Das Schicksal braucht ihn. Buluk Chaptan braucht ihn! Er wird der Welt von uns berichten!«
    Ich wandte mich wütend über diese Sicherheit zu meinem Begleiter und fuhr entsetzt zurück. Er war auf einmal sichtbar - und es war Madame Golden Rose. Madame, der ich so vertraut hatte! Sie hatte also mich und meinen Assistenten in die Wildnis gehen lassen, sodass der arme Fritz schrecklich zu Tode hatte kommen müssen.
    »Und wenn ich euch nicht helfe, mich weigere? Ich bin nicht euer Werkzeug!«, schleuderte ich der Mulattenhexe ins Gesicht. Doch sie war nicht beeindruckt von der Tatsache , dass ich meine Furcht überwunden hatte und blieb gelassen. »Dann wirst du sterben. Grausamer als der andere. Buluk Chaptan braucht noch viele Opfer und du wirst nur seine Abschlussgabe bei seiner Krönung sein. Jede Folter die du erduldest, wird eine Lobpreisung seines Namens.«
    »Werde ich nicht sowieso sterben?«, fragte ich bitter.
    »Wir werden sehen. Wenn du die Aufgabe, die wir dir übertragen, gut erfüllst, hast du die Chance , eines Tages wie wir die Unsterblichkeit zu erreichen.« Sie streckte ihre Hand aus und strich mir über die Wange, bis ihr Finger meine Stirn erreichte. Dort blieb er liegen, und ich hatte das Gefühl, als bohre sich ein schleimiger Wurm von unendlicher Kälte in meinen Schädel. Es war ein entsetzliches Gefühl, mein Gehirn schien sich zusammenzuziehen und sich gegen das Eindringen zu wehren, doch es war vergeblich; die Schlange erfasste mich und mein Denken und mein Innerstes…
    Dieses Gefühl und der Gedanke, einst eine Existenz wie diese verfallenen Geister führen zu müssen, ließen mein Nervenkostüm zusammenbrechen. Ich schlug um mich und versuchte den Finger der Hexe von meiner Schläfe zu wischen. »Neeeein!«, schrie ich in höchstem Entsetzen, und schrie und schrie und schrie.
    ***
    Ich erwachte.
    Zu meiner Verwunderung lag ich in meinem Zelt. Es war still. Nichts rührte sich.
    Ich wagte kaum aufzustehen, war schweißgebadet. Was, für einen Albtraum ich da gehabt hatte!
    Ich ging vor mein Zelt und erwartete fast, unser Lager verwüstet vorzufinden. Doch es war einfach verschwunden. Nichts wies darauf hin, dass hier außer meinem überhaupt je Zelte gestanden hatten. Ich rief nach Pedro, nach Fritz und den Trägern, doch niemand antwortete auf mein Rufen.
    Ich war allein. Ging in mein Zelt zurück. Jede einzelne Aufzeichnung, die ich in den letzten Tagen gemacht hatte, jeder Steinabdruck, jede Natu, war verschwunden, Ich hatte nur noch meine Decke, Proviant und Wasser für knapp 14 Tage, einen Kompass. Mein Geld hatten die Träger nicht angerührt. Es reichte gerade, um eine Stadt an der Golfküste zu erreichen und von dort eine Passage nach England bezahlen zu können.
    Also bin ich nun hier in Puerto Cortés, noch immer allein. Niemand
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