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0813 - Warten auf den Todesstoß

0813 - Warten auf den Todesstoß

Titel: 0813 - Warten auf den Todesstoß
Autoren: Jason Dark
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bewegte ich mich nach rechts. Mein Ziel war die Breitseite des Stationshauses, denn an ihr wuchs der schmale Kamin hoch. Da musste die Sprecherin auch stehen.
    Die Einsamkeit einer vergessenen Kulisse hüllte mich ein. Keine Sonne leuchtete mehr am Himmel.
    Ich verließ den Bahnsteig, lief einige Schritte über die weiche Erde und drehte mich dann um, als der Blickwinkel optimal war. Ich sah an der Breitseite die alten Steine. Der Krüppelbaum davor passte irgendwie nicht in das Bild. Erst jetzt fiel mir ein alter Zaun auf, der teilweise zusammengebrochen war.
    Der breite und sehr schmale Kamin auf dem Dach sah aus wie ein Stück Wand. Ein übergroßes Gebilde, das überhaupt nicht auf das Dach passte. Um die Öffnung zu erreichen, musste jemand schon ziemlich lange klettern, aber ich sah dort keinen.
    Ich suchte nach einer Möglichkeit, das Dach zu erreichen. Es war die beste Chance, an die Frau heranzukommen. Ich brauchte nicht zu klettern, denn plötzlich hörte und sah ich sie.
    Sie hatte an der Rückseite und für mich im toten Winkel gestanden. Wie ein Schatten schob sie sich plötzlich vor, dabei verließ sie die unmittelbare Nähe des Kamins und erreichte das im Hellen liegende schräge Dach. Sie stand dort, als hätte man sie festgebunden.
    Ich sah sie zum ersten Mal und musste meinem Informanten recht geben.
    Sie war böse.
    Das war selbst auf diese Distanz zu merken. Das verkniffene Gesicht, das dunkelblaue Kleid, das sich an den Seiten etwas ausbeulte, als sie breitbeinig auf dem Dach stand.
    In der rechten Hand hielt sie das Messer.
    Die Klinge schimmerte wie ein stumpf gewordener Spiegel. Sie hielt sie hochkant, als wollte sie ihr Gesicht darin erkennen, bevor sie es zerschnitt.
    »Wer bist du denn?«
    Sie hatte meine Stimme gehört. Unwillig schüttelte sie den Kopf.
    Wahrscheinlich ärgerte sie sich darüber, dass ich sie nicht mit Namen kannte.
    »Kannst du jetzt nicht mehr reden?«
    »Lorna Löhndorf!«
    Zum ersten Mal sah ich die Frau, deren Namen ich ja schon kannte.
    »Bist du aus der Fremde gekommen?«
    »Viele stammen aus der Fremde.«
    »Und was tust du hier?«
    Schallend lachte sie mir entgegen. »Man hat mich vergessen, man hat mich einfach vergessen. Kannst du dir das vorstellen? Die Menschen haben mich vergessen.«
    »Nein, das kann ich nicht.«
    »Aber so sind sie, die verdammten Menschen.«
    »Nicht alle. Es ist kein Grund, sie zu töten. Es gibt viele unter ihnen, die dich nicht vergessen hätten.«
    »Kann sein, aber bei mir taten sie es.«
    »Wann geschah das denn?«
    »Es ist lange her – lange…«
    »Wie lange?«
    Sie lachte meckernd. »Was bedeutet schon Zeit? Früher einmal ja, da hatten sie mich vergessen, aber jetzt ist die Vergessene wieder zurückgekehrt.«
    »Wer hatte dich vergessen?«
    »All die netten Menschen, die sich hier versammelten. Ich war noch jung, keine richtige Frau, aber auch kein Kind. Ich… ich lag dazwischen, ich war aber nicht mehr unschuldig.« Sie lachte geifernd. »Dann vergaßen sie mich, aber ich vergaß nicht sie«, erklärte sie voller Triumph und streckte die Hand mit dem Messer vor.
    »Du lebst doch!«, rief ich. »Was willst du denn alles? Du bist am Leben. Nur verstehe ich nicht, dass du auch töten willst. Freu dich, dass du lebst und…«
    Ihr Kreischen unterbrach mich. Es war ein plötzlicher wilder Wutanfall. Selbst aus dieser Entfernung konnte ich sehen, wie ihre Augen anfingen zu funkeln. Sie hatte den Mund weit geöffnet. Ich sah sogar ihren Atem. Oder täuschte ich mich in diesem Rauchgebilde, das vor ihren Lippen zitterte? So abrupt wie das Lachen aufgeklungen war, brach es auch wieder ab. Ein gefährliches Knurren folgte, und sie streckte mir den Arm mit dem Messer entgegen. »Ich kenne dich nicht, aber ich spüre, dass du keine so große Angst hast. Du bist gekommen, um die Vergessene zu stellen, um sie endgültig wieder vergessen zu machen, doch da gab es glücklicherweise eine Person, die mich nicht vergessen hat. Ein Freund erschien, ja, er tauchte plötzlich auf…«
    »Kenne ich ihn?«
    Sie breitete die Arme aus. Es sah so aus, als wollte sie vom Dach springen.
    »Der Freund rettete mich. Er kam aus einem fernen Reich, das so nahe liegt. Er ist nicht von dieser Welt, und er schenkte mir dieses Messer hier.« Noch einmal hielt sie es hoch. »Ein Zaubermesser, es trifft immer, es ist… es ist aus seiner Welt, es ist ein Stück von ihm, denn seine Kräfte stecken darin.«
    »Wie heißt es denn?«
    Für einen Moment dachte sie
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