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077 - Das Kollektiv

077 - Das Kollektiv

Titel: 077 - Das Kollektiv
Autoren: Stephanie Seidel
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Im Vorbeigehen nickte er dem Jungen zu, der sich nützlich machte und aller Angst zum Trotz Pechfackeln an Heck und Bug entzündete. Ich weiß, Vater: Fjorr muss das Mittelschiff treffen, wenn wir überleben wollen , dachte er.
    Sechs Bootslängen noch.
    Yu'uri erreichte das Heck. Ushaar erwartete ihn bereits, übergab wortlos das Ruder und machte sich daran, die Segel zu bergen. Normalerweise ging man sehr vorsichtig mit ihnen um, konnten sie doch über Erfolg oder Misserfolg der Fahrt entscheiden. Heute zählte das nicht.
    Vier Bootslängen noch.
    Vor dem Kopf des Monsters lief eine rauschende Bugwelle her. Die Männer an Backbord verließen ihre Plätze, um gemeinsam mit den anderen das Boot in die richtige Position zu rudern.
    Ushaar schwang seine Axt und schlug mit wuchtigen Hieben die Mastspitze ab. Yu'uri sah, wie das fallende Segel von einer plötzlichen Böe erfasst und auf Tjomkiin geschleudert wurde.
    Ohne die stumme Warnung seines Anführers hätte es ihn hinterrücks erschlagen, so aber konnte er gerade rechtzeitig ausweichen, es abfangen und aus der Drehung über Bord werfen.
    Zwei Bootslängen noch.
    Yu'uris Blick streifte den wettergeschwärzten Mastbaum. Ushaar hatte ihn schräg getroffen, und in etwas mehr als Mannshöhe schimmerte eine helle Spitze aus der Dunkelheit. Wie ein Speer. Dort muss er hin , dachte Yu'uri mit grimmiger Inbrunst.
    Er hatte sich hoch aufgerichtet. Unter ihm lockte die Nahrung; dicht zusammengedrängt auf freiem Platz zwischen den Korallen, die an beiden Enden ihrer Muschel wuchsen und bedrohlich wirkten, weil sie sich bewegten und ein helles Licht verstrahlten, das in seinen Augen schmerzte. Einzeln greifen konnte er die Beute nicht - sie war zu schmal und zu beweglich. Also würde er das tun, was er auch mit Riesenkraken tat: sie erschlagen. Der Fortbestand der Art musste gesichert werden. Töten war gut. Schwungvoll ließ er sich fallen.
    Es knirschte wie brechendes Holz, als der nadelspitze Bootsmast durch den Kopf des Monsters fuhr. Yu'uri und seine Männer handelten ohne Zögern: Kaum hatte sich die Fleisch gewordene Legende aufgespießt, warfen sie das Netz aus. Erwartungsgemäß versuchte die Kreatur es abzustreifen, und als sie sich fest genug in den Maschen verstrickt hatte, griffen die Männer an.
    Das Boot krängte schwer nach Backbord, und die Tatsache, dass sich der über die Reling hinaus hängende Riesenkörper heftig wand, war ein weiterer Grund zur Eile. Mit allen verfügbaren Waffen hackten und stachen die Fischer auf eine Stelle hinter der bebenden Kiemenleiste ein, bis sie so weit durchtrennt war, dass das Körpergewicht den Rest erledigte.
    Es waren schreckliche Laute, die das Schlachten begleiteten, lange Zeit vermischt mit angsterfüllten Pfeiftönen, die das Monster von sich gab. Die Männer ignorierten sie - zu nahe waren sie dem Tod gewesen, um sich beeindrucken zu lassen.
    Endlich, als sie schon knietief in Blut wateten und das Boot zu dampfen schien, brachen die Nackenknorpel.
    Muskeln und Sehnen rissen unter dem toten Gewicht, das an ihnen zerrte, und mit einem schabenden Geräusch glitt der mächtige Körper von der Bordwand.
    Rauschend schlugen die Wellen über ihm zusammen - und das Monster vom Kratersee versank in der Tiefe.
    Yu'uri atmete auf, fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn und streifte die erwartungsvollen Gesichter ringsum mit zufriedenem Blick. Gut gemacht, Männer! , dachte er. Doch es kam keine Antwort. Die geistige Verbindung war so plötzlich wieder abgebrochen, wie sie sich gebildet hatte.
    Vor dem zersplitterten Mast und der gepfählten, schaurigen Beute stützte sich Ushaar auf seine blutige Axt und breitete das obere Armpaar aus.
    »Das Boot ist ziemlich verwüstet«, brummte er. Seine Miene verfinsterte sich, als Le'ev in den klebrigen Pfützen ringsum ausrutschte und ihm der Länge nach vor die Füße fiel. »Was sollen wir tun, Yu'uri?«
    Der Anführer lächelte. Zum ersten Mal an diesem Nachmittag.
    »Wir kehren um«, sagte er mit unüberhörbarer Erleichterung in der Stimme, schob sein Messer in den Gürtel und wies mit einem Kopfnicken nach Backbord. »Es scheint mir wenig erfolgversprechend, mit einem angeschlagenen Boot voll erschöpfter Männer auf Fischfang zu gehen. Besonders, wenn das Netz zerrissen ist.«
    »Werfen wir diesen schrecklichen Kopf über Bord?«, fragte Le'ev von den blutumspülten Planken her, rieb sein rot verschmiertes Gesicht notdürftig an den Schultern ab und griff nach der schlaff
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