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0742 - Mein Bruder, der Dämon

0742 - Mein Bruder, der Dämon

Titel: 0742 - Mein Bruder, der Dämon
Autoren: Roger Clement
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islamischen Nachbarstaat einheizen sollten. Kopfschüttelnd schaltete Asha die Flimmerkiste wieder aus.
    Sie konnte nicht verstehen, dass sich die Menschen gegenseitig an die Gurgel gingen, wenn der gemeinsame Feind aller doch das Dämonenreich war. Aber natürlich freuten sich die Schwarzblütigen über den Zwist zwischen den Sterblichen und taten alles, um ihn zu schüren.
    Die Polizistin aß eine Mango, zog sich aus, wusch sich und legte sich ins Bett. Da sie müde war, schlief sie trotz ihrer Kopfschmerzen schnell ein.
    Asha träumte…
    In ihrem Traum wandelte sie selbst auf einem einsamen Pfad durch eine schöne Regenwald-Landschaft Südindiens. Streifenhyänen stießen ihre gurgelnden Laute aus. Zwischen den Baumstämmen hatte man den Blick auf einen Fluss, in dem Wasserbüffel badeten. Es roch nach Orchideen und Lotos. Der Regenwald breitete sein grünes Dach über ihr aus.
    Asha Devi lächelte im Traum. Sie trug nicht ihre Uniform, sondern einen Sari, das traditionelle indische Frauengewand.
    Doch dann wechselte die Szenerie.
    Übergangslos befand sich die Polizistin plötzlich in einem Klassenzimmer. Schüler in englischen Schuluniformen saßen ordentlich mit gefalteten Händen an ihren Plätzen. Vorne an der Tafel stand ein Lehrer, dessen Tweedanzug und Akzent ihn sofort als Angehörigen der britischen Oberschicht kennzeichneten.
    Mit Hilfe eines Zeigestocks erklärte er gerade den Satz des Pythagoras.
    Asha Devi wurde von niemandem wahrgenommen. Offenbar war sie für die Anwesenden unsichtbar. Aber es kümmerte die Polizistin nicht, ob sie gesehen werden konnte oder nicht. Sie konzentrierte sich ganz auf einen Schüler, der hinten am Fenster saß. Er wies dieselbe haselnussbraune Hautfarbe auf, die Asha Devi selbst hatte. Abgesehen von einem offenbar schwarzafrikanischen Jungen ganz vorne war er der einzige Nicht-Weiße in dieser Klasse.
    Asha Devi war wie vom Donner gerührt.
    Dort saß ihr Bruder Sura!
    Er musste es sein. Da gab es für die junge Polizistin keinen Zweifel. Die Familienähnlichkeit war unverkennbar. Wenn er lächelte, verzog er den Mund genauso wie Ashas Vater.
    Und Sura Devi lächelte oft, denn er witzelte lieber mit seinem Nachbarn, anstatt der Mathematikstunde zu folgen.
    Schließlich wurde es dem Lehrer zu bunt.
    »Master Devi und Master Kelly!«, schnarrte er. »Wenn Sie so großen Wert darauf legen, wieder den Reinigungsdienst zu übernehmen, brauchen Sie es nur zu sagen!«
    Die Drohung wirkte anscheinend. Jedenfalls blieben Sura und sein rothaariger, sommersprossiger Kumpel ab sofort ernst wie die Sargträger.
    Mit liebevollen Blicken musterte die Polizistin im Traum ihren Bruder, den sie nie kennen gelernt hatte.
    Sura war ein drahtiger Junge. Sein blauschwarzer Haarschopf war anscheinend etwas störrisch. Jedenfalls hatte er mit viel Pomade einen Seitenscheitel gezogen. Der Kragen seines Oberhemdes schien endlos lang, die Krawatte in den Schulfarben war ziemlich breit.
    Unwillkürlich wanderte Ashas Blick zum Abreißkalender an der Schmalseite des Klassenraumes. Es war der 3. September 1970. Mode und Haarschnitte passten in diese Zeit. Sie selbst, Asha Devi, war erst 1972 geboren worden. Ihre Eltern hatten ihr immer erzählt, ihr Bruder Sura sei bei seiner Geburt gestorben.
    Doch an diesem 3. September 1970 lebte er offenbar, war ungefähr zehn Jahre alt und ging in England zur Schule. Bisher hatte also der Dämon Ravana mit seinen Behauptungen über Ashas Bruder nicht gelogen.
    Die Polizistin erschauerte. Dann stimmte vielleicht auch der Rest, den sie von dem Dämonenkönig in der Hölle über Sura gehört hatte…
    Endlich war die Mathematikstunde zu Ende. Mit einer Disziplin, wie Asha sie noch nicht einmal auf der Polizeischule kennen gelernt hatte, marschierten die Schüler in den dunkelblauen Uniformen zum Speisesaal.
    Die ganze Schule war in einer Art Schloss untergebracht, das eingebettet zwischen düsteren Hügeln lag. Am Horizont sah man hinter steilen Klippen das silbrig-graue Meer schimmern.
    Nachdem die jungen Herren in einem Speisesaal abgefüttert worden waren, wurde Sura Devi von seinem rothaarigen Kumpel zur Seite genommen. »Wohin so eilig, Reisfresser?«
    Sura grinste und knuffte dem anderen Jungen freundschaftlich in die Rippen. »Bestimmt nicht zur Andacht, Kartoffelfresser.«
    Asha wurde seltsam zu Mute, als sie im Traum diese Worte vernahm. Sie erinnerte sich an die Erzählung des Dämonenkönigs. Ravana hatte behauptet, dass Sura Devi auf dem Internat
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