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0724 - Vampirträume

0724 - Vampirträume

Titel: 0724 - Vampirträume
Autoren: Claudia Kern
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absichtlich an diesen Ort geschickt, weil er deinen Tod wünscht.
    Youwei schüttelte den Kopf und versuchte, die Bilder seiner ermordeten Mitreisenden zu vergessen. Sie waren längst ins Totenreich eingegangen, aber ihn hatten die Soldaten verschont.
    »Warum?«, fragte er sich leise. »Was wollen sie von mir?«
    Mit einem Ruck wurde die Tür geöffnet. Youwei zuckte zusammen und wäre beinahe von der Kiste gestürzt, wenn er sich nicht im letzten Moment an der Wand abgestützt hätte. Er drehte sich vorsichtig um und sah einen der Soldaten höflich den Kopf vor ihm neigen.
    »Ich habe den Auftrag, Euch zum Palast zu bringen. Mein Herr wünscht, Euch zu sprechen.«
    Youwei stieg von der Kiste und strich über seine verdreckte Robe. »Ich folge dir, sobald ich umgezogen bin.«
    Der Soldat nickte, machte aber keine Anstalten, den Raum zu verlassen, so wie es der Anstand von ihm verlangt hätte. Stattdessen sah er sichtlich interessiert zu, als Youwei seine Robe ablegte und, nur mit einem Lendenschurz bekleidet, die Kiste öffnete.
    »Ich habe noch nie einen so dicken Menschen wie Euch gesehen«, sagte er nach einem Augenblick. »Ist das dort, wo Ihr herkommt, üblich?«
    Die Worte klangen beleidigend, aber Youwei sah nur Neugier in seinem Gesicht.
    »Bei denen«, antwortete er, während er eine frische Robe überstreifte, »die den Freuden des Lebens nicht abgeneigt sind, ist es durchaus üblich.«
    Der Soldat lächelte. »Dann müsst Ihr voller Freude sein.«
    »Nicht an diesem Tag…«
    Er straffte die Robe und nickte zufrieden. »Ich bin bereit für die Audienz mit deinem Herrn. Sage mir, wie ich ihn anzureden habe.«
    »Mein Herr ist der oberste Guan von Choquai, der Herrscher der Flüsse und der Berge, der Bewahrer der Schriften, Gönner der Tempel und der Priester, Beschützer der Karawanen, Begründer unseres Volkes, Herr der Sonne und der Wolken, der Sohn des Wolfes.«
    Youwei gab nach dem zehnten Wort den Versuch auf, sich die Titel zu merken. Blinzelnd trat er in die heiße Nachmittagssonne und wartete, bis ein Trupp Uniformierter sich um ihn versammelt hatte.
    Dann wandte er sich wieder an den Soldaten. »Und wenn ich ihn in einer Art und Weise ansprechen möchte, die nicht bis in die Nacht dauert, wie würde ich das tun?«
    Der Blick des Soldaten war so kalt wie die Hand, die seinen Unterarm streifte. »Ihr solltet im Staub liegen, die Augen auf den Boden gerichtet. Wenn mein Herr Euch erlaubt, ihn direkt anzusprechen, solltet Ihr seinen Namen mit all dem Respekt und der Ehrfurcht nennen, die er verdient.«
    »Und wie ist sein Name?«
    »Kuang-shi.«
    ***
    Agkar von den Tulis-Yon atmete den Geruch des Meerwassers ein und sah hinauf zu den Sternen. Vor wenigen Minuten war der Himmel nach stundenlangem Regen aufgerissen und zeigte sich jetzt klarer, als er ihn seit langem gesehen hatte.
    Agkar hasste Los Angeles, hasste den Smog und den Lärm, die grölenden Surfer auf den Wellen und die Kondensstreifen der Flugzeuge am Horizont. Der Stempel, den die Menschen der Landschaft aufgedrückt hatten, und ihre hektische Unruhe widerten ihn an und ließen ihn wünschen, der Plan seines Herrn sei bereits vollbracht.
    Er drehte sich um und ging zurück in die Höhle. Die anderen Tulis-Yon hockten zusammen, die Blicke auf den leeren Thron gerichtet. Sie warteten. Chang stand einige Schritte entfernt und verneigte sich tief, als er Agkar bemerkte. Auch er war Tulis-Yon, diente den anderen seit dem Tag seines Versagens jedoch als Sklave. Seine eigenmächtigen Befehle hatten mehrere Wolfskrieger das Leben gekostet, auch wenn ihre Vernichtung einkalkuliert gewesen war. Trotzdem hatte er versagt und lebte seitdem in Schande. Er würde nie wieder einen Befehl geben, denn Agkar hatte ihm die Zunge herausgerissen. [3]
    Jetzt winkte er Chang heran. »Ist unser Herr bereits aus der Meditation erwacht?«
    Ein Nicken und ein paar guttural gelallte Laute waren die Antwort. Chang versuchte immer wieder zu sprechen, als könne er nicht begreifen, dass er mit einem Bann belegt worden war, der seine Heilkräfte blockierte. Vielleicht wollte er auch nur Mitleid erwecken und hoffte, dass der Bann irgendwann gelöst wurde.
    Agkar beachtete ihn nicht mehr und ging zu der Position vor dem Thron, die ihm allein gebührte. In einer fließenden Bewegung sank er auf die Knie und presste die Stirn gegen den kalten Fels. Hinter sich hörte er das Rascheln von Kleidung, als die anderen Tulis-Yon ebenfalls niederknieten. Nur Chang musste die Höhle
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