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0724 - Vampirträume

0724 - Vampirträume

Titel: 0724 - Vampirträume
Autoren: Claudia Kern
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durchschaut hatte. Der Stolz verlangte von ihr, ihm das Papier ins Gesicht zu werfen, doch sie hatte längst gelernt, dieses Gefühl zu unterdrücken.
    Es klickte plötzlich.
    »Gib ihr das Geld zurück«, sagte Richie mit einer Stimme, die so ruhig und gelassen klang, als sei es vollkommen normal, eine Pistolenmündung gegen die Schläfe eines anderen Menschen zu pressen.
    Meis Augen zuckten von einer Seite zur anderen, suchten nach einem Fluchtweg, den es nicht gab.
    »Du sollst ihr das Geld zurückgeben. Ich zähle bis drei, dann hält sie es in der Hand, okay? Eins…«
    »Nimm deine scheiß Kohle!« Er warf Hope den Schein entgegen. Die bückte sich hastig und nahm ihn an sich. Als sie wieder hochkam, zwängte sich Mel bereits fluchend durch das Fenster auf der Beifahrerseite.
    »Das wirst du bereuen, Richie… Und du, Hope, glaub nicht, dass du noch mal was von mir kriegst. Du bist tot, verstehst du? Tot und…«
    Er brach ab. Sein Körper, dessen Beine noch in die Fahrerkabine hineinragten, erschlaffte. Irgendwo polterte etwas.
    Hope spürte Ambers Hand auf ihrem Arm und hörte Chrissies kurze nervöse Atemstöße. Richie, der die Waffe immer noch in einer Hand hielt, griff mit der anderen nach Meis Gürtel. Zentimeterweise zog er den Körper ins Innere. Hope sah, wie zuerst die Hose vom Kerzenlicht beleuchtet wurde, dann der Saum der Jeansjacke und die Klauen des eingestickten Adlers.
    Im gleichen Moment schlug etwas schwer und hart gegen die Frontscheibe. Hope fuhr herum, während Chrissie erschrocken aufschrie. Für eine Sekunde glaubte, sie einen Ball auf der Motorhaube liegen zu sehen, doch dann spiegelte sich der Kerzenschein in weit aufgerissenen Augen.
    »Mel…« Ambers Flüstern ging in donnernden Schüssen und Richies panischem Brüllen unter. Hope schlug die Hände vor das Gesicht, als die Frontscheibe zerplatzte. Querschläger bohrten sich Funken sprühend in das Metall.
    Aus den Augenwinkeln bemerkte sie, wie Meis Körper plötzlich nach draußen gerissen wurde. Richie drehte sich zur Seite und feuerte auf etwas, das nur er sehen konnte.
    Raus hier, dachte Hope. Sie schlug Ambers Hand zur Seite, schob sich durch das Fenster der Fahrertür und griff nach dem Dach des nächsten Wagens. Mühsam fand sie Halt auf dem glatten Metall.
    Im Inneren des Trucks verstummten die Schüsse, und die Schreie begannen. Hope wünschte, sie könne sich die Hände auf die Ohren pressen, aber sie musste weiter durch dieses Labyrinth aus Metall klettern. Ihre Fingerkuppen bluteten, ihre Knie waren aufgerissen und verschrammt, aber irgendwo hinter einer dieser Fahrertüren gab es einen Ausgang, einen Weg zurück in die Nacht.
    Ich werde es schaffen, dachte sie. Ich werde überleben.
    Als Hope das Knurren hörte, drehte sie sich nicht um, sondern kletterte weiter, den Blick starr nach vorne gerichtet. Der Schlag, der sie traf, war so mächtig, dass ihr Körper zwei Wracks durchschlug und aus dem Schrottberg hinausgeschleudert wurde.
    Zurück in die Nacht…
    ***
    »…große böse Wölfe«, sagte O'Neill leise. »Glaubst du, da ist was dran?«
    »Nein.« Obadiah klang nicht so, als hätte er den Gedanken überhaupt in Betracht gezogen. Er saß auf der Kante seines Schreibtischs und starrte auf die braunen Ringe, die seine Kaffeetasse auf den Aktendeckeln hinterlassen hatte.
    »Und du solltest auch nicht glauben, dass da was dran ist, Jack«, fuhr er nach einer Pause fort. »Hope ist nur ein Junkie auf einem schlechten Trip, okay?«
    »Okay.« O'Neill stand auf und griff nach seiner Jacke. »Hast du versucht, sie von der Straße zu holen?«
    Obadiah nickte. »Ja, aber du weißt ja, wie es ist…«
    Das wusste er tatsächlich, denn die Geschichten liefen immer gleich ab. Jugendliche Ausreißer, Drogen, Prostitution, das brutale Leben auf der Straße, der endlose Kreislauf aus Entzug und Rückfall. Obadiah musste nicht mehr sagen, um Hopes Geschichte zu schildern.
    »Ich mach Schluss für heute«, sagte O'Neill. »Bis morgen.«
    Er ließ das Großraumbüro hinter sich und ging zum Parkplatz. Es war bereits dunkel, und der Smog hing wie eine weiße Wolke über den Häusern der Stadt. O'Neill bemerkte das, ohne es wirklich wahrzunehmen. Seine Gedanken kreisten um die Jäger, wie Hope die nächtlichen Angreifer genannt hatte, und um die Frage, ob es sich bei ihnen vielleicht um Werwölfe handelte. Unmöglich war das zumindest nicht, auch wenn Obadiah diesen Teil der Ermittlungen wohl kaum gutheißen würde.
    Scheiß drauf,
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