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0720 - Teufelsnächte

0720 - Teufelsnächte

Titel: 0720 - Teufelsnächte
Autoren: Claudia Kern
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Die oberen Fächer, die er nicht erreichen konnte, waren leer, dafür stapelten sich Bücher und Aktenordner in den unteren. Nach kurzem Suchen nahm er einen in Leder gebundenen Band heraus und legte ihn auf seine Knie, ohne das Gewicht zu spüren. Er wischte sich die Hände an seinem Hemd ab, bevor er ihn vorsichtig aufschlug. Seine Augen glitten über die Beschwörungen, seine Lippen murmelten einzelne Worte. Noch wagte er es nicht, das ganze Ritual auszusprechen. Dafür fehlte ihm die Kraft.
    »Du wirst dir die Augen verderben, wenn du immer im Dunkeln liest«, sagte die Stimme seiner Mutter.
    Kenneth schlug das Buch zu und sah auf. »Ich bin ein Krüppel, Mum. Es stört mich nicht, wenn ich auch noch eine Brille tragen muss.«
    Seine Mutter blieb in der Tür stehen, einen Teller mit Sandwiches in der Hand. Aus dem Nebenraum hörte er die Titelmusik von Doctor Who. Er konnte nicht begreifen, dass sie sich einen solchen Müll ansah.
    Gegen seinen Wunsch schaltete sie das Licht an und stellte den Teller zwischen den Büchern auf einem Tisch ab.
    »Du weißt, was für ein Tag morgen ist«, sagte sie und Kenneth ertappte sich bei der irrwitzigen Vermutung, sie habe ebenfalls eine Einladung erhalten. Doch dann erkannte er, worauf sie hinaus wollte.
    »Glaubst du, ich könnte das jemals vergessen?«
    Für einen Moment sah er den Grabstein, hörte das Bersten in seinem Rücken und fühlte den schrecklichen Schmerz. Er schüttelte den Kopf und das Gefühl verging.
    »Das ist jetzt zwanzig Jahre her, Kenneth.« Seine Mutter sprach leise und vorsichtig. Er wusste, dass sie seine scharfen Entgegnungen fürchtete.
    »Ich dachte nur«, fuhr sie fort, »dass du langsam mit dein Leben in neue Bahnen lenken solltest und dich nicht in diesen…«
    Sie machte eine hilflose Handbewegung, schloss die Bücher, die gekritzelten Notizen und den Computer mit ein. Es war ihr deutlich anzusehen, dass sie ihren Sohn schon längst nicht mehr verstand.
    Kenneth lächelte. »Mein Leben wird sich verändern, Mum und zwar schon sehr bald.«
    Er griff nach einem Sandwich und biss hinein. Seine Mutter blieb noch einige Minuten stehen, als warte sie auf eine Erklärung, aber dann drehte sie sich wortlos um und schloss die Tür.
    Kenneth warf das Sandwich zurück auf den Teller.
    Morgen, dachte er. Morgen wird sich alles ändern…
    ***
    Zamorra glaubte, jeden Knochen im Körper zu spüren, als er sich nass, dreckig und durchgefroren die Treppe zu seinem Zimmer hochkämpfte. Er hatte den Weg zurück laufen müssen, weil jedes Taxi, dem er zuwinkte, nach kurzem Abbremsen sofort wieder Gas gab. Verdenken konnte er das den Fahrern kaum, denn so kurz vor Weihnachten gab es mehr als genug Fuhren, bei denen man den Rest der Schicht nicht mit der Säuberung der Polster verbringen musste.
    Zamorra blieb vor seiner Zimmertür stehen und tastete nach der Codekarte in seiner Jackentasche. Ihm war klar, dass er großes Glück gehabt hatte, denn außer einigen Schrammen und blauen Flecken war er dem Angriff unbeschadet entkommen. Hätte sein unbekannter Gegner ihn nur ein paar Meter höher in die Luft gehoben, wäre er jetzt tot.
    Er hat mit mir gespielt, dachte er. Das war eine Warnung, kein Mordversuch.
    Zamorra fand die Codekarte und zog sie durch den Schlitz neben der Tür. Es knackte kurz, als das Schloss entriegelt wurde, dann konnte er den Türknauf drehen und eintreten. Er trat ein und prallte überrascht zurück, als er jemanden auf einem Sessel sitzen sah.
    Kathy Harrold.
    Zamorra war zu müde, um wütend zu werden. »Wenn Sie einen Durchsuchungsbefehl haben, sagen Sie, was Sie wollen. Wenn nicht, raus.«
    Er ließ die Tür demonstrativ geöffnet, als er in das Zimmer trat und seine Jacke auszog. Kathy ignorierte die Aufforderung.
    »Was ist denn mit Ihnen passiert?«, fragte sie stattdessen. »Hat man Sie überfallen?«
    »So was in der Art.« Er sah sie an. »Also, was wollen Sie?«
    Nach dem missglückten Abend musste er sich keine Mühe geben, um seine Stimme barsch klingen zu lassen. Kathy stand auf und zeigte auf einen kleinen Metallchip, der neben ihr auf dem Tisch lag. Er war nicht viel größer als ein Streichholzkopf.
    »Das habe ich im Telefon gefunden«, sagte sie. »Sie werden abgehört.«
    Ich hatte es geahnt, dachte Zamorra.
    »Haben Sie den schwarzen Rover bemerkt, der heute Nachmittag vor dem Hotel parkte?«, fuhr Kathy fort. »Das ist ein polizeiliches Überwachungsfahrzeug. Allerdings wurde es offiziell von niemandem
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