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0702 - Das Stummhaus

Titel: 0702 - Das Stummhaus
Autoren: Unbekannt
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schienen.
    Körperlich war er nie besonders kräftig gewesen, und im Vergleich zu anderen Männern seines Alters wirkte er kränklich und verbraucht - viel zu früh verbraucht. Das war auch einer der Gründe, warum er sein Leben lang im Hintergrund gestanden und nie einen einflußreichen Posten bekleidet hatte. Bis zum Verwaltungsbeamten hatte er es gebracht, und das sicherte ihm die Altersration und die kleine Rente, die man ihm zubilligte.
    Er wurde allein mit sich fertig, er brauchte niemanden. Wenn er Lust danach verspürte, konnte er mit dem Lift hinabfahren und auf die Straße gehen. Das war der letzte Hauch von Freiheit, der ihm verblieben war und der ihn tröstete, wenn er sich mal einsam fühlte, was in letzter Zeit hin und wieder der Fall war - sehr zu seinem Befremden übrigens.
    Was seine letzte Frau machte, wußte er nicht Sie hatte ihn fast grußlos verlassen, als der Heiratsvertrag abgelaufen war. Er hörte nie mehr von ihr. Vielleicht hatte sie sich einen jüngeren Mann gesucht.
    Einmal in den vergangenen fünf Jahren hatte ihn sein Bruder besucht, aber nur um sich zu erkundigen, wann er endlich die Aufforderung erhielt, sich im Stummhaus zu melden.
    Kervin konnte sich noch gut an das Gespräch erinnern, das nur wenige Minuten dauerte. Wenn er wirklich einen Funken unterschwelliger Emotion verspürt hatte, so erlosch dieser schon bei der formlosen Begrüßung und der taktlosen Frage.
    „Ich glaube, es wird noch eine Weile dauern."
    „Das glaube ich nicht, Kervin. Du bist alt genug, und die Wohnungen werden gebraucht. Im Stummhaus bist du sicher gut aufgehoben."
    „Sage doch gleich, daß ich im Totenhaus gut aufgehoben bin!"
    „Du wirst doch diesen wilden Gerüchten keinen Glauben schenken?"
    „Wer sagt dir, daß es nur Gerüchte sind?"
    Sein Bruder hatte sich vorgebeugt und ihn forschend angesehen.
    „Soso, Kervin, du gehörst also auch zu jenen, die sich gegen die Staatsordnung auflehnen? Ich werde der zuständigen Behörde davon Mitteilung machen. Menschen wie du sind eine Zumutung für unsere Gesellschaft."
    Kervin hatte zur Tür gedeutet.
    „Es ist besser, du gehst jetzt. Ich will meine Ruhe haben."
    Sein Bruder sagte von der Tür her noch: „Die kannst du bald haben, Kervin. Im Stummhaus."
    Dann war er gegangen und hatte sich nie mehr blicken lassen.
    Vielleicht hatte er ihn, Kervin, wirklich angezeigt, vielleicht auch nicht. Jedenfalls war er bisher nicht dazu aufgefordert worden, sich bei einem der Stummhäuser zu melden.
    Sie waren der drohende Schatten, der über allen alternden Menschen schwebte. Niemand wußte genau, was sie eigentlich waren und wozu es sie gab, außer daß sie die Alten aufnahmen, aber nie wieder hergaben. Niemals war ein Mensch wieder gesehen worden, hinter dem sich die stählernen Pforten eines Stummhauses geschlossen hatten.
    Auch Kervin hatte Angst vor den" Stummhaus, und er wußte, daß es für ihn die Endstation sein würde. So recht konnte er nicht daran glauben, daß man ihn und die anderen, die sein Schicksal teilten, töten würde. Aber die heimlichen Gerüchte sprachen davon. In einer Welt, die ohne jede Liebe war, bedeuteten die Alten nur unnötigen Ballast.
    Die Stummhäuser waren riesige Gebäudekomplexe, umgeben von hohen und energetisch abgesicherten Mauern. Niemand konnte auch nur ahnen, was hinter diesen Mauern geschah.
    Etwas Gutes jedenfalls konnte es nicht sein.
    Kervin seufzte und beschloß, nicht mehr über seine trostlose Zukunft nachzudenken. Er hatte sein Leben gelebt, so gut es eben ging. Wenn er nun seine bescheidene Wohnung mit einem Gemeinschaftsraum des Stummhauses vertauschen mußte, was immerhin noch nicht das Schlimmste war, würde er sich auch damit abfinden müssen.
    Aber er hatte ja noch Zeit. Die alte Kathleen Toaklander, die ihm gegenüber in einer ärmlichen Wohnung hauste, war mit hundertdreiundfünfzig fünf Jahre älter als er, und auch sie hatte die gefürchtete Aufforderung noch nicht erhalten. Sie mußte zuerst an die Reihe kommen, wenn es gerecht zuging.
    Aber was war in dieser Welt noch gerecht...?
    Er zuckte zusammen, als der Summer ertönte und das grüne Licht über dem Empfängerkästchen aufleuchtete. Etwas war für ihn angekommen. Erleichtert atmete er auf, als ihm die Tagesration einfiel. Ein wenig mühsam stand er auf und schlurfte zu dem Fach, öffnete es und nahm den Plastikbehälter heraus, der seine Nahrungsmittel für die nächsten vierundzwanzig Stunden enthielt. Die Türschloß sich automatisch, und das
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