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060 - Bis zum letzten Schrei

060 - Bis zum letzten Schrei

Titel: 060 - Bis zum letzten Schrei
Autoren: Larry Brent
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gemacht hatte?
    Es gab keinen
Zweifel: Man würde ihn mit dem rätselhaften Mord an dem jungen Mädchen in
Verbindung bringen, weil jede andere vernünftige Erklärung versagte, weil es
sie einfach nicht gab!
    Soiger konnte
nur ahnen, was sich oben im Rittersaal abgespielt hatte. Die Menschen am Fuß
des Berges in dem kleinen Dorf fürchteten noch heute den Geist, der vor mehr
als sieben Jahrhunderten zu spuken begonnen hatte. Die Alten kannten die
Legenden, aber niemand nahm sie ernst.
    Und nun
erfolgte eine Neuauflage dieser Spukgeschichte! Soiger begriff die Welt nicht
mehr. Leise wie ein Dieb in der Nacht betrat er sein eigenes Haus und nahm den
Schlüssel an sich, mit dem er die Tore zu den Katakomben öffnen konnte.
    Marie Soiger
bemerkte nichts von der Rückkehr ihres Mannes. Sie war noch einmal
eingeschlafen.
    André Soiger
eilte den Weg zurück, den er gekommen war. Er lud den schlaffen, leblosen
Körper der schönen Französin auf seine nackten Schultern und schleppte die Tote
quer über den finsteren Innenhof, hinüber zu einem abseits gelegenen Hügel, den
er ganz umrunden mußte, ehe er die Stelle erreichte, wo das schwarze,
verschimmelte Tor in das Innere des Hügels führte.
    Feuchte,
modrige Kellerluft schlug ihm entgegen, nachdem er den einen Flügel des Tores
geöffnet hatte. Quietschend bewegte sich der Flügel in den großen, verrosteten
Scharnieren.
    Die dunklen,
glitschigen Stufen führten steil in die Tiefe.
    Im Abstand
von einigen Metern hingen in Drahtkörben nackte Birnen an der Gewölbedecke.
    Soiger hatte
drüben im Haupthaus das Licht einschalten müssen. Hier in diesem Teil der Burg
gab es zwar elektrische Versorgung, aber keinen Schalter. Das wäre in den
feuchten Kellerräumen lebensgefährlich gewesen.
    Soiger atmete
schwer. Obwohl Edith Rouflon nicht viel wog, fing er nun doch an, das Gewicht
zu spüren.
    Steil führten
zehn Stufen in die Tiefe. Dann machte der Gang einen scharfen Knick. Noch
einmal zehn Stufen lagen vor dem Burgaufseher.
    Das Gewölbe
war in den schwarzen Felsen hineingeschlagen. Auf dem rauhen Gestein glitzerte
das Infiltrationswasser.
    Soiger
passierte den mittleren Tunnel, der mannshoch war und in ein Kreuzgewölbe
mündete, wo ein altarähnlicher, quadratischer steinerner Aufbau stand. Es war
ein eckiger, gemauerter Brunnen, der mit einem Drahtgitter gesichert war.
    Soiger
drückte das Gitter auf die Seite. Ohne zu zögern, beugte er sich nach vorn und
ließ den auf seinen Schultern lastenden Leichnam los.
    Das
angstverzerrte, weiße Gesicht mit den aufgerissenen Augen war für Bruchteile
von Sekunden auf Augenhöhe mit ihm, ehe es in der schwarzen, gähnenden Tiefe
verschwand.
    Einmal,
zweimal, dreimal hörte Soiger einen dumpfen Aufschlag. Dann herrschte wieder
Stille. Edith Rouflon hatte ihr kühles Grab erreicht. Der Brunnen war
achtundneunzig Meter tief.
    In den
nächsten vierzig Minuten hatte André Soiger anstrengende Arbeit zu leisten. Er
ging den Weg zum Rittersaal zweimal, wischte die Blutlache auf, nahm alle
persönlichen Gegenstände, die der Toten gehört hatten, an sich und warf auch
diese in den Brunnen.
    Er entfernte
alle Spuren. Nach einer knappen Stunde erinnerte nichts mehr an die Besucherin.
Es war, als hätte eine Edith Rouflon nie ihren Fuß auf diesen verhexten Boden
gesetzt.
    Erst als er
weit nach zwei Uhr früh im Bett lag, wurde ihm bewußt, was er alles getan
hatte.
    André Soigers
Herz pochte, der Schweiß brach ihm aus, und er merkte, wie die Nerven unter
seiner Haut zuckten und zitterten.
    Einmal
erschauerte er, weil es plötzlich eiskalt seinen Rücken herunterlief; dann
wieder atmete er heftig, weil er glaubte, sein Blut würde sieden, und der
Schweiß brach ihm aus allen Poren.
    Er fühlte
sich krank. Er stand mehrmals auf und trank ein Glas Wasser, blieb
gedankenversunken am offenen Fenster stehen und starrte hinüber auf die düstere
Turmspitze, die sich hinter dem bewaldeten Hügel gen Himmel abzeichnete.
    Soiger mußte
an den mysteriösen Vorfall denken, und ständig tauchte vor seinem geistigen
Auge das Bild der Weißen Frau auf, das drüben über der Tür zum Rittersaal hing.
In der Kleidung des 13. Jahrhunderts war die damalige Burgherrin von einem
Hofmaler verewigt worden, mit dem engelgleichen, sphinxähnlichen Lächeln um die
schmalen Lippen.
    André Soiger
schloß in dieser Nacht kein Auge. Der unheimliche Mord beschäftigte ihn und
wurde zu einem Alptraum.
    Außer Soiger
und seiner Frau gab es niemanden im Schloß.
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