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06 - Prophet der Apokalypse

06 - Prophet der Apokalypse

Titel: 06 - Prophet der Apokalypse
Autoren: Michael J. Parrish
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er sich selbst gestärkt hatte, kümmerte er sich um seine Leidensgenossen, so auch um Sayil. Zu ihrer großen Freude stellte sich heraus, dass niemand die lange Überfahrt mit dem Leben hatte bezahlen müssen. Nach und nach erholten sich alle.
    Aus Dankbarkeit huldigten sie den Göttern, die ihnen letztlich doch noch die Hand gereicht hatten. Mit ihrem eigenen Blut führten sie Rituale durch, die sonst mit Gefangenen vollzogen wurden und mit dem Tod der Opfer endeten.
    Sayil und seine Gefährten tanzten ekstatisch bis zur Erschöpfung. Die mitgebrachte Stele wurde zum Mittelpunkt ihrer Riten.
    Ein Ende der Welt, um sie den Göttern zu übergeben, hatten sie nicht erreicht – aber sie flüchteten sich in die Überzeugung, die Inseln erreicht zu haben, auf denen die Götter wohnten. Und so errichteten sie die Stele im Hochland der Insel, auf der sie Rettung gefunden hatten, gut sichtbar für die Götter.
    Als die anderen Tage später darauf drängten, wieder nach Hause zurückzukehren, war Sayil der Einzige, der ihnen ins Gewissen redete, dass sie damit Ah Ahauals Willen zuwiderhandelten. »Er trug uns auf, dafür zu sorgen, dass die Stele niemals in falsche Hände geraten kann«, sagte er.
    »Aber hier leben die Götter. Wo sollte sie sicherer verwahrt sein?«, hielten die anderen ihm entgegen.
    »Ah Ahaual verlässt sich auf uns!«, erwiderte Sayil. »Ich werde ihn nicht enttäuschen.«
    Als sie anfingen, ihn zu verhöhnen, wusste er, dass sie nie reinen Glaubens gewesen waren. Daraufhin kehrte er ihnen den Rücken und beobachtete aus der Ferne ihre Vorbereitungen zum Aufbruch. Sie füllten die Wasservorräte auf und sammelten Wurzeln und Früchte, mit denen sie die Heimfahrt bewältigen wollten. Niemand aber versuchte Sayil noch umzustimmen, damit er sich ihnen anschloss.
    Und dann waren sie fort – und er blieb allein auf dem Eiland zurück.
    Für eine Weile zumindest.
    ***
    Schon in der ersten Nacht, die Sayil allein auf der Insel verbrachte, zog ein schwerer Sturm auf, der das Meer aufwühlte. Ihr Kanu musste den Gewalten schutzlos ausgeliefert sein. War das die Strafe der Götter für die Selbstsüchtigen?
    Am nächsten Morgen lag das Wasser wieder friedlich in der Sonne, und Sayil redete sich ein, dass der Sturm vielleicht doch nicht so schlimm gewesen war, als dass er das Boot zum Kentern gebracht hätte. Tief im Herzen ahnte er aber, dass alle Gefährten umgekommen waren.
    In der Folgezeit hoffte Sayil auf ein himmlisches Zeichen, das ihn darin bestärkte, recht damit getan zu haben, hierzubleiben und die Stele zu bewachen.
    Als sich ein Boot der Insel näherte, keimte in ihm zunächst die Hoffnung, dass seine Gefährten zurückkehrten. Doch im Näherkommen zeigte sich, dass es sich um ein Boot unbekannter Bauart handelte. Und auch die Menschen darin waren keine Maya.
    Da sie Sayin bereits entdeckt hatten, gab es kein Entkommen vor ihnen. Sie trieben ihn in die Enge, nahmen ihn gefangen und brachten ihn in ihrem Boot zu einer großen Nachbarinsel.
    Die Siedlung, in die Sayil gebracht wurde, unterschied sich völlig von den Städten, die er kannte. Nichts hier war aus Stein und für eine lange Dauer errichtet. Sämtliche verwendete Materialien hatten einmal gelebt, waren dem Boden entsprossen, auf dem auch die Einheimischen heranwuchsen und von dem sie sich ernährten.
    Sayil wurde vor den Häuptling des Stammes geführt und vor ihm in den Staub gezwungen. Als er stolz das Haupt reckte, erhielt er von einem der Männer, die ihn überwältigt hatten, einen derben Tritt zwischen die Schulterblätter, sodass er mit dem Gesicht voran im Dreck landete.
    Er ließ es über sich ergehen. Gegenwehr war zwecklos.
    Der Häuptling trat an ihn heran und tippte mit einem langen Stock mal gegen die Rippen, mal gegen die Gliedmaßen oder andere Bereiche von Sayils Körper – geradeso, als würde ein Vieh auf seinen Zustand geprüft, bevor es geschlachtet wurde.
    Da für Sayil solcher Umgang mit Gefangenen eine Selbstverständlichkeit war, glaubte er, sein letztes Stündlein habe geschlagen. In Gedanken sah er sich schon über einem großen Feuer braten. Er hatte von kannibalischen Riten gehört, bei denen Menschen von Menschen verzehrt wurden – nicht nur deren Blut, nein, auch ihr Fleisch und die Organe.
    Der Häuptling sprach in gutturalem Ton auf ihn ein, dann auf seine Männer. Sayil wurde davongezerrt und in eine der Hütten gestoßen, wo man ihn so fesselte, dass er um sich greifen, aber nicht fliehen konnte.
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