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06 - Ein echter Snob

06 - Ein echter Snob

Titel: 06 - Ein echter Snob
Autoren: Marion Chesney
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London komme, streute Sand darüber und übergab es Dave.
    Nur zwei Straßen weiter schmökerte
der Herzog in den kühlen Gewölben einer Buchhandlung. Eigentlich hatte er
direkt in die Clarges Street fahren wollen, aber ein Schaufenster voller
Neuerscheinungen hatte ihn von seiner Kutsche heruntergelockt.
    Daves Nachricht wurde in der Clarges
Street 67 mit Freudenschreien aufgenommen. Rainbird und Joseph zogen dankbar
ihre heiße Livree aus, Angus bereitete ein kaltes Picknick zu, und dann machten
sie sich alle gemeinsam die Clarges Street hinunter auf den Weg, und sie sahen
wie eine richtige Familie aus. Sie überquerten den Piccadilly und tauchten in
den kühlen Schatten des Green Park ein.
    Miss Jenny Sutherland saß in der
rumpelnden, schwankenden Reisekutsche, die sie nach London brachte, und hoffte,
dass ihr nicht übel wurde. Als sich Lady Letitia erst einmal entschlossen
hatte, in die Hauptstadt zu gehen, leitete sie alles mit atemraubender
Geschwindigkeit in die Wege. Jenny wußte nicht, dass Lady Letitias Tatendrang
durch ihren, Jennys, sogar noch beschönigten Bericht über ihre Unterhaltung
mit dem Herzog von Pelham ausgelöst war. Lady Letitia fürchtete jetzt
ernstlich, dass sie ein Mädchen ohne Sitte und Anstand großgezogen hatte. Städtisches
Benehmen war es, was Jenny dringend lernen musste. Es war ein gottloses
Zeitalter, deshalb gab es auch niemanden, der Lady Letitia den Rat gegeben
hätte, dass — da es ihrem Schützling mehr an Taktgefühl als an gutem Benehmen
fehlte — ein Pfarrer, der Demut predigte, vielleicht mehr erreicht hätte.
    Sie hatten vor, bei einer Freundin
von Lady Letitias Mutter zu wohnen. »Du meine Güte, kann jemand, der so alt
ist, immer noch am Leben sein?« hatte sich Jenny gewundert. Mrs. Freemantle
hieß ihre Londoner Gastgeberin. Lady Letitia erklärte, dass Mrs. Freemantle sie
ständig bedrängt habe, sie möge sie doch einmal besuchen, und deshalb hatte sie
der Dame einen Boten geschickt, der ihre Ankunft ankündigte. Auf diese Weise
brauchten sie auch keine Zeit damit zu verlieren, auf eine Antwort zu warten.
    Sie wussten nicht, dass sie auf der
Landstraße beinahe dem Herzog von Pelham begegnet wären. Der Herzog hatte
seine Reise nämlich unterbrochen, um einen Kriegskameraden außerhalb von London
zu besuchen, und begab sich gerade wieder auf die Straße nach London, als Lady
Letitias Kutsche vorbeirollte. Er war zu sehr in Gedanken vertieft, um die
Insassen zu bemerken, und Lady Letitia und Jenny schliefen beide gerade, so dass
sie ihn auch nicht sahen.
    Da Jenny bereits eine äußerst
elegante Garderobe besaß, hatte es nichts gegeben, was die Damen daran
gehindert hätte aufzubrechen.
    Jenny wurde immer aufgeregter, je
mehr sie sich London näherten. Wenn sie, wie so oft, an den schrecklichen
Herzog von Pelham dachte, träumte sie davon, auf den Gesellschaften, die jetzt
noch stattfanden, durchschlagenden Erfolg zu haben; sie träumte davon, dass
sich der Herzog in sie verliebte, und ihre Lieblingsvorstellung war, dass er
vor ihr auf die Knie fiel und sie um ihre Hand bat, worauf sie ihn kalt abwies.
    Jennys Herz war noch unberührt, und
so sah sie in der Ehe nicht mehr als ein ehrgeiziges Projekt. Man suchte sich
den Besten und Reichsten aus, und den heiratete man. Den Neid eines jeden
anderen Frauenzimmers in London zu wecken war ganz gewiss das einzige Ziel im
Leben. Ihre Schönheit umgab sie wie ein Panzer, und Jenny hatte nur den Wunsch,
gut anzukommen, denn die Zurechtweisung durch den Herzog nagte noch an ihr.
    Manchen mochte London als
schmutzige, lärmende Stadt nach der üppig-grünen Kühle des sommerlichen Landes
erscheinen, aber als der Reisewagen in die geschäftigen Straßen einbog, liebte
Jenny sofort alles: den Lärm, das Durcheinander, die leichten Kutschen, die
hierhin und dahin schossen — Libellen gleich, die über die unbeständigen
Wasser der Gesellschaft flogen —, die hochmütigen Damen, die so gut wie nichts
auf dem Leib trugen, und die prahlerischen Herren mit ihren lächerlich
eingezwängten Taillen und bemalten Gesichtern.
    »Wo wohnt diese Mrs. Freemantle?«
fragte sie ihre Tante. »In der Clarges Street«, sagte Lady Letitia, »Nummer einundsiebzig.«
    »Und ist sie eine nette Dame?«
    »Sehr nett. Allerdings habe ich sie
schon eine Ewigkeit nicht mehr gesehen. Benimm dich anständig, Jenny!«
    »Ich bin immer höflich, Lady
Letitia.«
    »Du hast eine betrübliche Art, den
Leuten nicht zuzuhören und ihnen keine
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