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0573 - Der uralte Henker

0573 - Der uralte Henker

Titel: 0573 - Der uralte Henker
Autoren: Jason Dark
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dabei behilflich sein, doch der Padre winkte ab. »Nicht so, mein Sohn. Ich bin alt genug, um mich noch allein bewegen zu können.«
    »Entschuldige.«
    Francesco reckte sich. Sein schlohweißes Haar war schütter geworden. Die Bartstoppeln auf Kinn und Wangen sahen aus wie ein feiner, heller Schleier.
    »Reich mir deinen Arm, mein Sohn«, bat der Ältere, als sie das Zimmer verlassen hatten und durch den kahlen Gang schritten. Die Wände waren weiß und besaßen als einzigen Schmuck hin und wieder ein schlichtes Holzkreuz. Unter den Kreuzen hingen mit Weihwasser gefüllte Becken.
    Der Weg führte in den Garten. Er lag im Schatten des Mailänder Doms, aber dort, wohin sich keine Touristen verirrten. Die hielten sich meist auf der piazza grande vor dem Bauwerk auf.
    Die Messe war beendet. Über die Trennmauer hinweg hörten die beiden Mönche das Summen der Stimmen, als die Gläubigen den Dom verließen.
    Der Garten war von den Mönchen selbst angelegt worden und wurde auch von ihnen gepflegt. Im Sommer ein kleines Refugium, mit Pavillons und Bänken geschmückt, auf denen die Mönche verweilen und ihren Gedanken sowie Gebeten nachkommen konnten.
    Die Wege liefen schachbrettartig. Sie waren von hohen Hecken umsäumt, die regelmäßig gestutzt wurden.
    Ein wunderschöner Flecken Erde, den alle sehr liebten. »Die Luft ist wunderbar«, sagte der alte Mönch. »Ich habe das Gefühl, sie schmecken und trinken zu können.«
    »Ja, schon fast zu wunderbar.«
    »Wie meinst du das?«
    »Wir brauchen Regen, Francesco, richtigen Regen. Menschen und Tiere leiden schon unter der Dürre.«
    »Ich weiß es, Bernardo. Auch ich gehöre zu denen, die für Regen gebetet haben. Der Heilige Vater hat es so gewünscht.«
    Er sah nicht, daß Bernardo die Stirn in Falten legte, denn er dachte etwas anders darüber.
    Sein Lehrvater streckte die freie Hand aus. »Ich weiß genau, wie ich zu gehen habe, obwohl ich nicht sehe, wo sich die einzelnen Wege befinden. Aber ich rieche die Hecken und sehe ihren Schatten. Komm, wir gehen der Sonne entgegen. Dort befindet sich eine Bank. Laß uns dort in der Sonne verweilen.«
    Die Bank lag wirklich günstig. Geschützt von einer Hecke gegen den böigen Wind, lag sie nach vorn, zur Sonne und zum Süden hin offen.
    »Ahhh – hier gefällt es mir«, sagte der alte Pater und streckte die Beine aus. »Es ist so wunderbar. Ich freue mich immer, wenn ich das noch genießen darf.«
    »Du wirst es noch oft genug können, alter Freund, glaub mir nur.«
    »Nein, Bernardo, nein. Ich weiß es besser. Das Schicksal lauert auf mich, das Ende und einen neuen Anfang. Du weißt selbst, daß der Tod erst der Beginn ist.«
    »Was redest du denn da?«
    »Die Wahrheit.«
    »Unsinn, Francesco, das ist nicht die Wahrheit. Du hast dich vor kurzem noch untersuchen lassen, wie du sagtest, der Arzt war zufrieden mit dir.«
    »Das stimmt.«
    »Dann hör auch auf mit dem Gerede.«
    »Nein, mein Sohn.« Der alte Mann hielt sein Gesicht der Sonne entgegen und freute sich über die Wärme auf seiner Haut. »Du siehst das wirklich falsch oder hast mich falsch verstanden. Es ist kein normaler Tod, der mich erwischen will. Ich habe im Traum gesehen, daß ich sterben muß. Und zwar durch die Hand eines anderen. Es gibt diese Wahrträume, mein Sohn. Sie kommen gerade bei älteren Menschen vor, und sie treten immer ein.«
    »So habe ich dich ja noch nie reden hören.«
    »Man verändert sich eben.«
    »Aber nicht sehr zum Positiven.«
    »Was hast du gegen die Wahrheit einzuwenden, Bernardo?«
    »Nichts. Ich kann nur nicht glauben, daß du die Wahrheit gesagt hast, das ist es.«
    »Du wirst es sehen!«
    Bernardo nickte heftig. »Ja, bestimmt, in einigen Jahren.«
    »Nein!«
    »Hör auf, bitte.« Bernardo drehte sich seinem alten Lehrmeister zu und hob schon flehend die Hände. »An einem Sonntag wie diesem möchte ich nicht über den Tod reden.«
    Der alte Padre nickte nur, sagte ansonsten nichts und schaute ins Leere.
    Bernardo war unruhig geworden. Die Worte seines Lehrmeisters hatten ihn stärker aufgewühlt, als er zugeben wollte.
    Sollte an diesen Berichten über Wahrträume doch etwas dran sein?
    Der Himmel war so klar wie selten im Winter. Unter dem lichten Blau zogen Vögel ihre Kreise. Weil ihn die Sonne blendete, hielt er eine Hand halb hoch.
    Vom Domplatz her war der Stimmenlärm verstummt. Ruhe kehrte ein in den Garten.
    Wegen des warmen Wetters meldeten sich auch die Vögel zurück.
    Sie zwitscherten und freuten sich über ihr
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