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052 - Die Leichenkammer des Dr. Sarde

052 - Die Leichenkammer des Dr. Sarde

Titel: 052 - Die Leichenkammer des Dr. Sarde
Autoren: Larry Brent
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doch stieß kaum einer
auf den anderen.
    Man lebte hier einsamer als auf einem weltabgeschiedenen Dorf ...
    Sie musste die Polizei benachrichtigen!
    Dass es eine solche Möglichkeit gab, schien ihr erst jetzt in den Sinn zu
kommen. Sie war in den ersten Sekunden nach dem Schock so verwirrt, dass ihr
das Naheliegende nicht in den Sinn gekommen war. Außerdem wäre sie auch nicht
in der Lage gewesen, unmittelbar nach dem unheimlichen Erlebnis irgendjemand
anzurufen. Sie hätte kein Wort über die Lippen gebracht.
    Mit einer mechanischen Bewegung griff sie nach dem durchsichtigen Negligé,
das hinter der Tür hing und streifte es über. Deutlich zeichneten sich die
schattigen Umrisse ihrer kleinen festen Brüste und die straffen Schenkel unter
dem luftigen Gewebe ab.
    Michele vermied es, einen Blick auf den Tisch zu werfen, wo das schaurige
Paket lag.
    Mit zitternden Händen blätterte sie das Telefonbuch durch, das auf der
Ablage unmittelbar neben der Tür zum Wohnzimmer lag.
    »Polizei ... Polizei ...«, murmelte sie wie in Trance vor sich hin.
    Sie presste die Lippen zusammen, aus denen jeglicher Blutstropfen entwichen
schien.
    Ihre Rechte näherte sich der Wählscheibe des Telefons.
    Da geschah es !
    Der Apparat schlug an.
    Sein lautes, schrilles Klingeln schallte durch die Wohnung und zerriss die
nächtliche Stille.
    Michele Claudette zuckte zusammen. Es läutete ein zweites Mal. Wie ein
Zentnergewicht näherte sich ihre Hand dem Hörer, hob ihn ab und meldete sich
mit dumpfer Stimme.
    »Claudette ...«
    Sie schluckte. Wer rief sie jetzt noch an? Sie hatte einen ungeheuerlichen
Verdacht, der im gleichen Augenblick bestätigt wurde.
    »Hallo, Mademoiselle!«, erklang es am anderen Ende der Strippe. Sie
erkannte die Stimme sofort wieder. Es war der merkwürdige Alte aus der Metro!
    »... erinnern Sie sich noch an mich? Ich bitte um Entschuldigung, dass ich
Sie so spät anrufe«, fuhr er fort, noch ehe sie ein einziges Wort über die
Lippen brachte. »Aber ich komme gerade zu Hause an und stelle fest, dass wir in
der Metro unsere Reisetaschen vertauscht haben. Eine unangenehme Angelegenheit
für mich.«
    Als er das sagte, hatte sie das Gefühl, eine stählerne Hand würde sich um
ihre Kehle pressen. Sie hätte am liebsten geschrien – aber sie beherrschte
sich.
    »Unsere Reisetaschen!« Sie zog die beiden Worte in die Länge, als wisse sie
noch nicht, um was es ging. Blitzartig entschloss sie sich zu dieser Reaktion.
Instinktiv spürte sie, dass dies das Beste für sie war. Sie musste sich
unwissend stellen.
    »Ah?!« Die Stimme am anderen Ende der Strippe wurde um eine Nuance heller.
»Sie haben es noch gar nicht bemerkt, wie?«
    »Ich ... ich bin eben erst nach Hause gekommen, Monsieur, ich ...« Sie
merkte, wie schwer es ihr fiel, ihrer Stimme Sicherheit und Festigkeit zu
geben. Sie fürchtete, keine sehr gute Schauspielerin zu sein.
    »Tja, ein bedauerlicher Irrtum. Zum Glück habe ich im Seitenfach Ihrer
Tasche Ihre Papiere gefunden. Dabei befand sich auch eine Karte mit Ihrer
Telefonnummer. So ist es möglich, sofort mit Ihnen Verbindung aufzunehmen.«
    »Jaaa«, sagte Michele Claudette nur, sie wusste im Moment nichts Besseres.
Die Tatsache, dass der Alte anrief, den sie in ihrem Bewusstsein mit einem
Mörder gleichsetzte, brachte sie abermals aus dem Gleichgewicht. Sie hatte in
den letzten fünf Minuten mehr erlebt als während der vergangenen zweiundzwanzig
Jahre ihres Lebens.
    »... ich möchte die Tasche so schnell wie möglich wieder haben. Und sicher
sind Sie auch daran interessiert, Ihre Dinge auf dem schnellsten Weg
wiederzubekommen.«
    »Aber selbstverständlich«, beeilte sie sich zu sagen, und sie war froh,
dass ihre Stimme so leicht und so frisch klang. Sie fühlte sich in Wirklichkeit
bedrückend elend, am Ende ihrer Kraft und hätte am liebsten die Wahrheit ins
Telefon gebrüllt.
    »Ich bin Wissenschaftler. Es befinden sich einige sehr wertvolle Unterlagen
in der Tasche«, fuhr da die Stimme am anderen Ende schon wieder fort.
    »Ich arbeite nachts oft durch. Es wäre für mich sehr wichtig, die
Unterlagen noch heute Nacht zurückzubekommen.«
    »Oh«, Michele Claudette seufzte und hoffte, dass sie damit ihren
Gesprächspartner überzeugte, dass sie wirklich noch nichts von dem schaurigen
Inhalt der Tasche wusste. »Das dürfte sicher ziemlich kompliziert für Sie sein.
Die letzten Züge der Metro sind bereits abgefahren. Vor morgen früh um 5.30 Uhr
geht kein Zug mehr.«
    »Das macht nichts«,
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