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0491 - Der Blutjäger

0491 - Der Blutjäger

Titel: 0491 - Der Blutjäger
Autoren: Jason Dark
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Die große Doppeltür vor ihr führte direkt in die Leichenhalle. Dort wollte sie nicht hin, die Tür links daneben war wichtiger.
    Der Klumpen im Magen hatte sich verdichtet. Eva war fast so bleich wie eine Tote. Für einen Moment dachte sie daran, einfach kehrtzumachen und wegzufahren, doch sie riß sich zusammen und drückte die kühle Metallklinke nach unten.
    Die Tür schwang auf.
    Kerzen brannten. Es waren vier an der Zahl, und sie rahmten den dunklen Sarg ein. Ansonsten brannte in dem fensterlosen Raum nur die Notbeleuchtung.
    Weiß waren die Wände gestrichen worden. Der Fußboden bestand aus rötlichen Steinplatten. Eine zweite Tür führte von hier aus ebenfalls in die Leichenhalle.
    Mit sehr kleinen und vorsichtig gesetzten Schritten näherte sich Eva Leitner dem offenen Sarg. Die Kerzen standen am Kopf- und am Fußende der letzten Ruhestätte. Noch konnte Eva ihre Schwester nicht sehen, sie mußte näher herantreten. Ihre Knie waren weich geworden. In diesen Augenblicken überkam sie der Schmerz, und sie hielt die Tränen auch nicht mehr zurück. Sie verschleierten ihren Blick. Dann preßte Eva noch die Hände vor das Gesicht. Es dauerte eine Weile, bis sie sich erholt hatte. Als sie sich endlich überwand und in den offenen Sarg schaute, stand sie bereits dicht daneben.
    Eva senkte den Blick.
    Da lag Karin, ihre Schwester.
    Man sagte oft, daß Tote aussehen, als würden sie schlafen. Diesen Eindruck bekam auch Eva. Karin schien sich nur zum Schlafen niedergelegt zu haben. Ihr Haar war sorgfältig frisiert worden. Es umrahmte den Kopf wie eine Gardine, die im Nacken zu einem Knoten zusammengesteckt worden war.
    Vom Gesicht her ähnelten sich die beiden Schwestern ein wenig. Auch Karin hatte volle Lippen, die jetzt so blaß wirkten, als hätte sie jemand in das Gesicht hineingezeichnet.
    Das weiße Totenhemd zeigte auf der Brust einige Stickereien. Eva wunderte sich darüber, daß Karins Hände nicht gefaltet auf dem Körper lagen, sondern eingeklemmt waren zwischen Hüfte und Sargrand. Und noch etwas wunderte sie.
    Karins Augen waren geöffnet!
    Eva konnte in die dunklen Pupillen schauen, zwei starre Kreise ohne jeglichen Glanz. Die Gesichtshaut glänzte, wie mit Öl eingerieben.
    Es kostete Eva viel Überwindung, die Hand auszustrecken und mit dem Finger die Wange ihrer Schwester zu berühren. Sie spürte die Kälte der Haut, ein Zeichen des Todes.
    Dabei sah sie anders aus als die Toten, die Eva in ihrem Leben schon gesehen hatte.
    Wie schön war Karin, fast wie ein Engel…
    Eva ging um den Sarg herum und schaute sich Karin von der linken Seite her an.
    Jedes Detail wollte sie registrieren, doch als ihr Blick den Hals der Toten traf, schrak sie zusammen.
    Dort befand sich die Verletzung.
    Man hatte versucht, sie zu überschminken, das war nicht so recht gelungen. Die Wunde kam trotzdem durch. Sie war ziemlich tief, als wäre der Hals mit einer Sense bearbeitet worden. War Karin vielleicht deshalb gestorben?
    Eva überkam eine große Nervosität. Sie bewegte ihre Hände, sie spürte Kälte über ihren Rücken rieseln, die Beine begannen zu zittern, und sie dachte an Mord.
    Ja, es gab keine andere Möglichkeit. Jemand mußte ihre Schwester umgebracht haben.
    »Meine Güte, Karin!« stöhnte sie, trat zurück und begann wieder zu weinen.
    Deshalb bemerkte sie nicht, daß die Eingangstür langsam geöffnet wurde und ein Mann den Raum betrat. Er war ziemlich alt, blieb auf der Schwelle für einen Moment stehen, schaute auf die trauernde, junge Frau und sagte dann: »Du bist auch gekommen, Eva?«
    ***
    Die junge Frau hatte die Worte gehört. Ihre Hand sackte vom- Gesicht weg nach unten. Zuerst konnte sie wegen des Tränenschleiers nicht viel erkennen, das legte sich sehr bald, und sie sah Franz, den Totengräber, auf der Schwelle.
    »Du?« fragte sie.
    »Ja, ich.« Franz nickte und kam langsam näher. Er ging gebeugt. Die Spuren des Alters hatten ihn gezeichnet. Sein Gesicht war noch immer gebräunt. Furchen durchzogen es wie bei einem Acker, aber die Augen blickten klar. Er trug noch seine Arbeitskleidung. Einen dunkelblauen Overall, den er über seinen Pullover gestreift hatte. Das graue Haar wuchs bis auf beide Ohren, und unter den Sohlen seiner dicken Schuhe knirschte bei jedem Schritt der feine Sand.
    Er blieb einen Schritt vor Eva stehen, schaute aber nicht auf sie, sondern in den Sarg.
    »Wie… wie geht es dir?« fragte Eva, weil ihr nichts anderes einfiel.
    »Ach, man lebt.«
    »Und sonst?«
    Franz
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