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0464 - Die grüne Göttin

0464 - Die grüne Göttin

Titel: 0464 - Die grüne Göttin
Autoren: Werner Kurt Giesa
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hin und wieder. Hast du das vergessen?« erinnerte Nicole.
    »Ich hab's nicht vergessen«, gab Zamorra zurück. »Ich hätte da auch nachgeschaut, aber sie ist nicht mehr in Baton Rouge.«
    Nicole hob die Brauen. »Wie bitte?« Ruckartig setzte sie sich auf. Die Decke verrutschte.
    »Maurice war da«, sagte Zamorra. »Er sagte, Angelique sei spurlos verschwunden. Zusammen mit Julian.«
    »Na, prachtvoll. Und wohin, bitte?«
    »Spurlos«, wiederholte Zamorra. »Das heißt auf französisch spurlos.«
    Nicole nahm einen weiteren Schluck. »Ausgerechnet Angelique! Mit Julian?«
    Sie erhob sich an Zamorra vorbei und ging nackt in den Wohnraum hinüber, das Glas in der Hand. Zamorra genoß den Anblick, den sie ihm bot, und folgte ihr langsam. Sie ließ sich in einen Sessel fallen und streckte die Hand mit dem Glas aus. »Füllst du nach, chéri ?«
    Zamorra holte die Flasche, die er im Schlafraum gelassen hatte, und entdeckte dabei einen Bleistift und ein Blatt Papier mit einer Zeichnung, das er ebenfalls mitbrachte. »Was ist das?« fragte er, während er die Gläser wieder auffüllte.
    »Das habe ich vorhin gezeichnet, kurz bevor du zurückkamst«, sagte Nicole. »Ein Bild, das ich geträumt habe.«
    Er hob die Brauen. Nicole war nicht unbedingt das, was man eine Künstlerin nennen durfte, die alle ihre Eindrücke in Bilder umsetzen mußte. Daß sie zeichnete, kam alle paar Jahre einmal vor, und dann handelte es sich in der Regel um Lagepläne, Hinweis-Skizzen oder Ähnliches, was zur Orientierung im Rahmen eines Falles diente. Ihrer künstlerischen Ader, sofern diese existierte, hatte sie bisher nie wirklich freien Lauf gelassen.
    Zamorra betrachtete die Zeichnung genauer.
    Sie zeigte einen menschlichen Schädel. Schnüre gingen von ihm aus wie von einem Fallschirm, und an diesen Schnüren hing etwas, das einem Schwamm glich mit seinen Poren und Vertiefungen. Die seltsame Konstellation schwebte unter freiem Himmel in der Luft, und auf dem riesigen Schwamm saß eine nackte Frau mit Vampirgebiß, deren Hände und Füße nur über jeweils vier Finger beziehungsweise Zehen verfügten, mit scharfen Krallen bestückt. Zamorra lächelte. »Was ist das?« fragte er.
    Nicole blieb ernst.
    »Shedo«, sagte sie.
    ***
    Auch der Mann, der sich Ben Smith nannte, durfte sich mittlerweile wieder frei bewegen. Gegen ihn lag nichts vor. Daß er sich in der dunklen Nische zwischen den Häusern versteckt hatte, konnte ihm niemand zum Vorwurf machen. Er hatte einfach Angst gehabt - hatte er als Begründung angegeben.
    Sie hatten ihn also wieder laufengelassen.
    Je besser er mit dem unverbrauchten Körper zurechtkam, desto stärker fühlte er sich. Seine Aufgabe war es, die Göttin vor jenem Mann im weißen Anzug zu warnen, den er im Verdacht hatte, daß er mißtrauisch geworden sein konnte und etwas ahnte. Aber er hoffte, daß die Göttin ihn aussandte, diesen gefährlichen Mann auszuschalten.
    Die Welt hatte sich in den letzten Jahrhunderten rapide verändert. Die Technik war hochkarätiger, die Fernkommunikation beachtlich. Man konnte nicht mehr einfach etwas tun und annehmen, daß es nicht über einen bestimmten Radius hinaus bekannt wurde.
    Die Menschen waren klüger geworden. Und schneller.
    Deshalb mußte eine Gefahr, die entstand, so schnell wie möglich beseitigt werden. Man konnte nicht mehr wie früher ausweichen. Es gab einfach keinen Platz zum Ausweichen mehr.
    Die Welt war klein geworden.
    Zu klein…
    Das Wesen, das nicht nur den Körper von Ben Smith angenommen hatte, sondern sich jetzt auch als Ben Smith verstand und dessen Identität auslotete, um sie zu übernehmen, ging zum Tor , um der Göttin zu berichten und Gegenmaßnahmen zu erbitten.
    ***
    »Und was ist Shedo?« fragte Zamorra.
    Nicole zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht«, sagte sie. »Sieht seltsam aus, nicht?«
    Zamorra nickte. »Aber was noch seltsamer ist: Du zeichnest deine Träume doch sonst nicht auf Papier.«
    »Vielleicht sollte ich es öfter tun«, überlegte sie. »Es könnte eine Möglichkeit sein, sie besser zu verarbeiten.«
    »Es war also ein Alptraum?« Zamorra legte das Papier wieder aus der Hand. »Sicher. Allein der riesige Schädel, und dann dieses nichtmenschliche Wesen…«
    Zu seiner Verblüffung schüttelte Nicole energisch den Kopf. »Es war kein Alptraum«, protestierte sie. »Ganz im Gegenteil. Shedo… Shedo ist ein angenehmes, freundliches Wesen. Sie ist…«
    »Sie?« hakte Zamorra ein, als Nicole verstummte.
    »Ja, sie.
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