0438 - Der Drachenturm
Macht.«
»Und wem muß ich es abnehmen?« fragte La-Soor grimmig. »Liegt es in einem Tempelschrein, bewacht von kriegerischen Götzendienern? Gesichert von Fallensystemen, die in ihrer Perfidie sogar meine… ähem… Fantasie übertreffen? Bestrichen mit einem Kontaktgift, das mich wenige Herzschläge nach dem ersten Berühren umbringt? Oder ist es irgendwo vergraben?«
»Nichts dergleichen«, versicherte der Zauberer. »Du wirst es finden. Ich sorge dafür. Gib mir dein Schwert.«
Unwillkürlich wich La-Soor zurück. »Nein!«
»Gib es mir, du Narr!« herrschte Gonethos ihn an. »Du bekommst es zurück, stärker und besser denn je!« Ehe La-Soor es verhindern konnte, glitt das Schwert von selbst aus der Scheide und schwebte auf den Zauberer zu, landete in dessen ausgestreckten Händen. Gonethos betrachtete es.
»Es ist eine gute Waffe«, sagte er. »Die beste und schönste, die ich jemals gesehen habe. Sie ist deiner würdig, Drachentöter.«
Ein eigenartiges, gelbviolett pulsierendes Leuchten hüllte das Schwert ein. Nur für ein paar Sekunden, dann war es wieder vorbei, und Gonethos hielt La-Soor die Waffe entgegen, den Griff voran.
Zögernd faßte La-Soor zu. »Was habt Ihr getan?«
»Das Schwert wird auf die Nähe des Medaillons der Macht reagieren«, sagte der Zauberer. »Sorge also dafür, daß du es nicht aus Unachtsamkeit verlierst…«
»Oder daß ich es mir nicht von einem Zauberer stehlen lasse«, fügte La-Soor sarkastisch hinzu.
Gonethos lachte. »Dein Humor gefällt mir. Du bist so herrlich respektlos… aber kein Zauberer wird dich bedrohen. Nun, bist du bereit?«
»Sagt mir, wieviel Zeit ich habe.«
»Du kannst sofort gehen, besser jetzt, als in ein paar Tagen, wenngleich ich es gut verstehen kann, solltest du zunächst die Mädchen einzeln nacheinander oder zugleich ausprobieren wollen und danach einige Tage Ruhe benötigen… und wenn du die andere Welt erreicht hast, hast du so viel Zeit, wie du brauchst, das Medaillon der Macht zu beschaffen. Niemand wird dich drängen, ich erst recht nicht.«
»Ich könnte Gefallen an der anderen Welt finden und dort bleiben - mit dem Medaillon der Macht.«
Gonethos lächelte.
»Sicher, Drachentöter«, sagte er. »Deine Aufgabe, jenen riesigen Drachen zu erschlagen, würde unerledigt bleiben, er würde dein Volk terrorisieren, bis ein anderer Drachentöter ausgebildet wäre und sich seiner annähme… und ich… Nun, ich müßte warten, bis ich einen ähnlichen gut geeigneten Helden fände, den ich dir auf den Hals schicken würde, um dich zu erschlagen und mir das Medaillon zu bringen.«
Der Drachentöter grinste.
»Das wäre eine interresante Möglichkeit«, sagte er. »Denn niemand garantiert Euch, daß jener Held mich tatsächlich besiegen würde…«
»Ich habe Zeit«, sagte der Zauberer. »Mehr Zeit als jeder sterbliche Mensch. Ich habe schon sehr lange gelebt, und ich werde noch sehr lange leben. Auf jeden Fall viel länger als du. Ich kann jemanden entsenden, der dir das Medaillon aus den Skelettfingern nimmt, wenn du längst im Grab verfault bist.«
»Ich habe eine Aufgabe zu erfüllen«, sagte La-Soor. »Ich kann mein Volk nicht im Stich lassen. Ich muß den Drachen töten - sonst wäre ich erst gar nicht hierher gekommen.«
»Dein Rückkehrwunsch ist eine gute Garantie«, sagte der Zauberer.
»Dann laßt uns nicht länger zögern«, sagte La-Soor. »Öffnet mir das Weltentor.«
Gonethos nickte.
»Komm mit«, sagte er und schritt einfach voran.
Die sieben Mädchen folgten den beiden so ungleichen Männern.
***
Raffael Bois hätte, der Vernunft gehorchend, sich eigentlich zurückziehen müssen. Zamorra war hier, und er nahm sich der Sache an. Riesen, Trolle und Zauberer waren ebenso seine Sache wie Dämonen, Geister und Teufel.
Dennoch kehrte Raffael nicht um. Er folgte Zamorra in kurzem Abstand. Er wollte sich vergewissern, ob er in jenem türkisfarbenen Licht tatsächlich einen Riesen gesehen hatte, der geduckt durch die Kellerräume schlich, oder ob er nur einer Halluzination zum Opfer gefallen war. Außerdem konnte es sein, daß Zamorra Hilfe brauchte.
Daran, daß er ein alter Mann war, der körperlich mit Jüngeren schon längst nicht mehr mithalten konnte, hatte Raffael noch niemals einen Gedanken verschwendet. Er war zwar nicht mehr so schnell und so kräftig wie vor fünfzig Jahren, aber er schätzte sich stärker ein, als er war.
Außerdem - falls Zamorra hier unten trotz des Amuletts etwas zustieß, wer sollte
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