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043 - Das Beinhaus der Medusa

043 - Das Beinhaus der Medusa

Titel: 043 - Das Beinhaus der Medusa
Autoren: Larry Brent
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Aufmerksamkeit galt jetzt einer jungen, knienden Frau, die die
Hände nach vorn auf den Boden gestützt hatte und damit beschäftigt war, ihre
zersplitterte Brille aufzuheben, die ihr – bei welcher Gelegenheit auch immer –
heruntergefallen war. Die junge Frau blickte Eriksen erstaunt an, als würde sie
ihr Gegenüber mustern und irgend etwas feststellen, was nicht an ihm stimmte.
    Der Mörder Gunnar Mjörks konnte sich eines gewissen Unbehagens nicht
erwehren!
    Er kannte diese Frau!
    Das war Ingrid Odden, eine bekannte Kunstpädagogin, die in verschiedenen
norwegischen Großstädten eigene Galerien besaß und junge Talente durch von ihr
ausgerichtete Ausstellungen einer breiteren Öffentlichkeit nahe zu bringen
versuchte.
    Eriksen zuckte zusammen, als die schwere Tür hinter dem geschlossenen
Seidenvorhang ins Schloß fiel.
    Er sprang auf und starrte in den dämmrigen Raum.
    »Inger?« fragte der Mann heiser. Er blickte sich um. Keine Spur von der
jungen Bildhauerin.
    Er merkte, wie es eiskalt durch seine Adern strömte.
    Er rannte auf den Vorhang zu und riß ihn auf die Seite.
    Die Tür vor ihm war verschlossen. Vergebens suchte er nach der Klinke.
Wütend trommelte Eriksen mit beiden Fäusten gegen das schwarze Holz.
    »Aufmachen!« brüllte er. Schweißperlen standen auf seiner Stirn. »Zum
Teufel noch mal, Inger: Was soll der Unsinn?«
    Er lauschte und hoffte auf eine Antwort. Nichts!
    Er war Inger Bornholms Gefangener! Sie wollte ihn loswerden. Er war der
einzige Zeuge des Mordes an Gunnar Mjörk!
    Eriksen schloß die Augen, das also war ihr teuflisches Spiel …
    Sie hatte ihn hier unten eingesperrt. In einem unter dem Wohntrakt
liegenden kühlen Kellergewölbe. Hier konnte ihn niemand hören. Selbst wenn er
noch so laut schrie.
    Die Wände waren meterdick, und die drei Hausangestellten betraten diesen
Trakt nicht. Sie wußten nichts von seiner Anwesenheit in diesem makabren
Gewölbe, das ihn an die Horrorkammer der Madame Tussaud erinnerte und doch
einen weitaus stärkeren Eindruck auf ihn machte.
    Die Menschen als versteinerte Gestalten.
    Er preßte die Lippen zusammen. Die Kälte. Jetzt wurde sie ihm wieder
bewußt. Gnadenlos kroch sie in seine Glieder.
    Wie unter einem inneren Zwang löste er sich von der Tür.
    Er wurde auf das Geräusch hinter dem Vorhang aufmerksam.
    »Björn?« Leise und verführerisch klang die Stimme, und der Gefangene
glaubte einen verlockenden Ruf zu vernehmen.
    »Warum versteckst du dich? Hat dich das Kabinett so mitgenommen?« Sie
lachte leise. »Es muß dir einen gehörigen Schrecken eingejagt haben, plötzlich
festzustellen, daß du allein bist. Ich glaube, die stärksten Männer werden hier
schwach. Oder könntest du dir vorstellen, daß du eine ganze Nacht hier
verbringst, ohne die geringste Anwandlung von Furcht?«
    Konnte sie Gedanken lesen? Ja, er fürchtete sich. Aber er durfte es sich
nicht anmerken lassen. Mit beiden Händen schob er den schweren seidenen Vorhang
zur Seite.
    »Es gibt Menschen, die es nicht unterlassen können, anderen einen gehörigen
Schrecken zu versetzen«, kam es erleichtert über seine Lippen. Er blickte sich
um. Schweiß stand auf seiner Stirn. Björn Eriksen wollte noch etwas hinzufügen.
    Aber er brachte keinen Laut mehr über seine Lippen.
    Was er erblickte, war dazu angetan, einen Menschen zum Wahnsinn zu treiben.
    Zwischen den steinernen Statuen, im Licht der flackernden Kerzen und der
gespenstisch scheinenden Lampen erblickte er sie. Inger Bornholm!
    Er wollte noch einen Schritt auf sie zugehen und schreien.
    Doch die Füße rührten sich nicht vom Fleck. Bleierne Schwere füllte seine
Beine. Eisige Kälte stieg seine Waden und Schenkel hoch. Er merkte, wie er
abstarb. Seine verkrampften Hände konnten sich nicht mehr vom Vorhang lösen.
Mit schreckgeweiteten Augen starrte er in die Dämmerung vor sich und konnte den
Kopf nicht mehr drehen, um das Unheil abzuwenden.
    Seine Nackenhaare sträubten sich. Ein eisiger Hauch ließ sie erstarren,
auch die Schweißperlen auf seiner kalten, gefühllosen Stirn zu einer festen
Masse werden.
    Björn Eriksen begriff die Welt und seinen Tod nicht. Nur eines verstand er
noch, ehe sein Körper zu seinem eigenen steinernen Grab wurde: Inger Bornholm
hatte niemals auch nur einen Finger gerührt, um die ungewöhnlichen,
lebensvollen Gestalten in diesem Gewölbe aus kaltem, hartem Stein
herauszumeißeln.
    Dies hier war nicht ihre Werkstatt.
    Dies war ein Beinhaus! Eine Gruft der versteinerten
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