Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
040 - Die Tochter der Hexe

040 - Die Tochter der Hexe

Titel: 040 - Die Tochter der Hexe
Autoren: Hugh Walker
Vom Netzwerk:
zwischen den Menschen durch. Dann war ich nah genug, daß ich sah, was die Leute lähmte.
    Die Frau schien in dieser Höhe zu schweben, oder an unsichtbaren Fäden zu hängen. Es war nichts weit und breit, das sie dort oben hätte halten können. Es war völlig absurd. Und doch schwebte sie dort und brannte wie eine Fackel – und litt furchtbare Qualen.
    Hilflos blickte ich mich um. Großer Gott, was ging hier vor sich? Aber in keinem Gesicht war eine Antwort zu finden, nur stummes Entsetzen. Von weiter hinten, aus den Gassen, die zum Platz führten, kam Hupenlärm und verärgertes Stimmengewirr, aber es klang fern und bedeutungslos. Hier war nur das Schreien wirklich und die physikalische Unmöglichkeit dieser schwebenden, brennenden Gestalt.
    Vorn knieten einige der Menschen nieder und begannen offenbar zu beten. Sie hielten es wohl für eine Art Wunder, ein Fanal Gottes. Ich bin kein sehr gläubiger Mensch, aber auch nicht abgebrüht genug, das Gefühl kalter Furcht zu ignorieren, das mich inmitten dieser erstarrten Szene erfaßte.
    Unvermittelt brach das Schreien ab, verklang mit einem wimmernden Laut. Die Gestalt in den Flammen hörte auf zu zucken, aber sie krümmte sich zusammen unter der Glut. Die Flammen knisterten, und der scheußliche Geruch von brennendem, menschlichem Fleisch kam herab. Wenig später, während die Menge stumm nach oben starrte, wurde das Feuer kleiner und verlöschte, und Asche wehte über die weißen Gesichter, wie um alle Zweifel an der Realität des Geschehens auszulöschen.
    Nur langsam löste sich die Starre in der Menge. Ich drängte meine aufgewühlten Gedanken in den Hintergrund und kämpfte mich zu meinem Wagen zurück. Das war nicht leicht. Anderen erging es nicht besser. Bald war die Gasse von Fluchen und Hupen erfüllt. Der Eindruck des eben Erlebten war fortgewischt – wenigstens für den Augenblick. Mit Mühe gelang es mir, die Wagentür zu öffnen und in den Fahrersitz zu klettern. Von irgendwo kam Sirenengeheul. Offenbar hatten nun auch amtliche Stellen vom Geschehen am Marktplatz gehört, oder sie rückten an. um die Verkehrsstauung zu beheben.
    Es war nichts zu tun, als zu warten, bis die Straße frei wurde. Eine Weile beobachtete ich die Menschen, die an meinem Wagen vorüberdrängten. Sie waren noch immer recht blaß. Die Hinrichtung, die sie eben erlebt hatten, gleich ob sie es für einen Spuk oder Realität hielten, war ihnen in die Knochen gefahren.
    Aber mir nicht weniger. Hatte ich tatsächlich so etwas wie ein Wunder erlebt? Oder waren wir alle nur einem faulen Trick von Massenhypnose zum Opfer gefallen? Ich schüttelte die Gedanken ab und bahnte mir im Schritttempo einen Weg auf der von zahlreichen Fußgängern bevölkerten Straße.
    Ich war müde und wollte nach Hause.
    Was würde wohl morgen in der Zeitung stehen?
     

     
    Es stand nicht viel mehr im Zeitungsbericht, als ich selbst auch gesehen hatte. Eine Frau hing über dem Stadtplatz und brannte. Ich verwarf den Gedanken mit der Massenhypnose wieder. Sie konnte nicht so umfassend sein. Alle hatten die Frau gesehen, die zur fraglichen Zeit auf den Platz kamen. Alle.
    Die Augenzeugen versorgten die Presse wohl mit den wildesten Spekulationen, so daß es diese vorzog, gar keine zu veröffentlichen. Es blieb also weitgehend bei der lapidaren Feststellung, daß eine brennende Frau gesehen worden sei – wobei man es erfolgreich vermied, die drei Meter Höhe zu erwähnen, in der sie geschwebt war, und im selben Atemzug berichtete, daß der örtlichen Polizei bisher keine Vermißtenmeldungen vorlägen, die mit der mysteriösen Affäre in Zusammenhang stehen könnten. Nur in einem Blatt wagte man sich daran, von Mord zu sprechen und auf die Schuldfrage hinzuweisen.
    Es sprach für die Skurrilität der ganzen Sache, daß die Presse ratlos war. In unserer Zeit der Skepsis und des leicht auflodernden Unwillens war es nicht mehr so leicht, Unfaßbares an den Mann zu bringen. Und das war unfaßbar! Man konnte nicht einmal an dieses Bild glauben, selbst wenn man es mit eigenen Augen gesehen hatte. Konsequenterweise geriet die Sache auch bald in Vergessenheit. Was der menschliche Geist nicht erklären kann, wird verdrängt.
     

     
    Mir gelang es weniger gut. Ich bin einer dieser romantischen Narren, in denen alles Phantastische einen wesentlich stärkeren Nachhall findet als reale Dinge – mochten sie auch noch so einprägsam sein.
    Ich kam nicht los von dem Bild der brennenden Frau; ich sah ihr Gesicht vor mir,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher