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040 - Die Tochter der Hexe

040 - Die Tochter der Hexe

Titel: 040 - Die Tochter der Hexe
Autoren: Hugh Walker
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verzerrt vor Pein. Und plötzlich erkannte ich es. Ich hatte diese Frau bereits gesehen – aber wo?
    Ich verbrachte die Nachmittagsvorlesungen über altenglische
    Literatur grübelnd, und kurz vor Ende der letzten Stunde glaubte ich es zu wissen. Ein Buchladen im neunten Bezirk, in der Nähe des mathematischen Instituts. Ich kannte ihn gut genug von meinen vier vergeblichen Semestern Mathematik her. Abgesehen von den Lehrbüchern führte er auch ein umfangreiches Antiquariat, das ich oft genug nach alten Sammlerstücken durchstöbert hatte. Der alte Buchhändler war vor einem halben Jahr gestorben. Dann hatte diese Frau den Laden übernommen.
    Es gab keinen Zweifel. Und je sicherer ich mir wurde, desto mehr sehnte ich das Ende der Vorlesung herbei. Es drängte mich danach, Gewißheit zu erhalten. Schließlich hielt ich es nicht mehr aus. Ich ignorierte Dr. Plechers vorwurfsvollen Blick, als ich den Saal verließ. Das Warten auf die Straßenbahn war unerträglich, und die Fahrt selbst war das, was sich eine Schnecke unter Geschwindigkeit vorstellt.
    Aber endlich stand ich doch vor dem Geschäft und starrte in die finstere Auslage. Enttäuscht las ich den Zettel an der Tür.
    HEUTE GESCHLOSSEN
    Ich starrte durch das Glas ins Innere. Natürlich war nicht viel zu erkennen, aber Neugier ist nun mal mit Vernunft nicht beizukommen.
    Dabei fiel mir ein, daß der Laden ja wohl geschlossen sein mußte, wenn die Inhaberin verbrannt war! Der Gedanke schien mir verrückt und, bedeutungsvoll zugleich. Aber ich fand sicher nicht viel heraus, wenn ich hier vor dem Laden stehen blieb. Irgendwie mußte ich erfahren, wie sie hieß – und sie aufsuchen.
    Als ich mich abwandte, kam ein Mädchen über die Straße. Unwillkürlich hielt ich inne, denn die Ähnlichkeit mit der Buchhändlerin war verblüffend, nur daß ihr Alter so zwischen zwanzig und fünfundzwanzig liegen mußte, während die Frau gut doppelt so alt schien.
    Ich wartete, bis sie heran war, Sie bemerkte mich erst im letzten Augenblick. Ein wenig erschrocken sah sie mich an. Ihr Gesicht war bleich und düster von Trauer, und das weckte in mir eine dumpfe Gewißheit, daß die brennende Frau keine Illusion gewesen war.
    „Oh“, sagte sie. „Es ist sicher schlimm, daß das Geschäft noch immer geschlossen ist. Wollen Sie etwas kaufen?“ Sie wartete gar nicht auf eine Antwort. „Ich habe einen Schlüssel. Wenn Sie mir helfen, das zu suchen, was Sie möchten, dann will ich es Ihnen gern geben.“
    Ich hatte nicht vor, etwas zu kaufen, aber das war die beste Gelegenheit, etwas zu erfahren. „Ja“, sagte ich deshalb. „Das läßt sich sicher machen.“
    Sie nickte und schloß auf. Ich sah mich rasch um und hoffte, daß ich der einzige Kunde bleiben würde.
    „War sie Ihre Mutter?“ fragte ich etwas unbedacht, als sich die Tür hinter uns geschlossen hatte.
    Sie sah mich plötzlich scharf an. „War?“ erwiderte sie. Und ein Funken von Angst glomm in ihren dunklen Augen auf. „Wer sind Sie?“
    „Keine Panik“, sagte ich rasch. „Ich will nichts von Ihnen. Ich kannte die Frau kaum. Ein – oder zweimal habe ich sie gesehen, wenn ich hier Bücher kaufte. Aber ich habe mir ein paar Dinge zusammengereimt, und nun bin ich neugierig.“
    „Welche Dinge?“
    „Ich habe kein besonderes Gedächtnis für Gesichter, aber es schien mir …“ Ich zögerte. „Als wären – sie ist doch Ihre Mutter, nicht wahr?“
    Das Mädchen nickte unmerklich.
    „Als wären Ihre Mutter und diese Erscheinung am Marktplatz gestern abend …“ Ich kam mir idiotisch vor, als ich es sagte. Es schien mir auf einmal wieder so absurd. „Ich meine …“
    „Sind Sie von der Presse?“ unterbrach sie mich.
    „Nein, Sie können beruhigt sein. Ich sagte schon, ich will nichts von Ihnen, ich – nun, ich erkannte plötzlich das Gesicht, und es ließ mir keine Ruhe mehr. Obwohl mir alles völlig verrückt erschien, mußte ich Klarheit haben. Vielleicht wissen Sie, wie das ist, wenn man …“
    „Nein, ich weiß es nicht“, unterbrach, sie mich schroff. „Es ist besser, wenn Sie jetzt gehen.“
    „Eines sagen Sie mir noch“, bat ich sie. „Wie ist der Name Ihrer Mutter?“
    „Sie wollten gehen“, erinnerte sie mich.
    „Hören Sie, Sie könnten mir den kleinen Gefallen wirklich tun, nachdem mich meine Neugier schon so weit hierher getrieben hat.“
    Sie sah mich nur bleich und stumm an. Etwas an ihr war seltsam. Mir fiel nichts Besonderes auf, obwohl ich sie eingehend musterte. Es war mehr
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