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040 - Die Tochter der Hexe

040 - Die Tochter der Hexe

Titel: 040 - Die Tochter der Hexe
Autoren: Hugh Walker
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die Schultern. „Sie heißt Tamil. Elvira Tamil. Man sieht sie kaum im Dorf. Aber eine Menge Leute scheinen sie zu besuchen. Ich sah nachts oft Boote über das Moor fahren.“ Sie sah mich an und lächelte unsicher. Das Lächeln war sehr hübsch. „Sie sind ein guter Zuhörer“, stellte sie fest. „Sie geben mir sogar das Gefühl, daß Sie das alles interessiert.“
    „Das tut es auch“, erklärte ich.
    „Aber, ich verstehe nicht …“, begann sie.
    „Lassen wir es dabei bewenden, daß ich Ihre Mutter gut kannte“, unterbrach ich sie. „Ich sah Ihr Foto auf ihrem Nachttisch. Sie gefallen mir noch besser, als auf dem Bild.“
    Ein wenig verlegen erwiderte sie: „Danke für das Kompliment. Ich würde Sie gern zum Essen einladen, aber ich glaube, ich bin heute keine besonders gute Köchin!“
    „Ich kann mir vorstellen, wie Ihnen zumute ist. Machen Sie sich keine Gedanken deshalb. Ich habe einen anderen Vorschlag. Fahren Sie mit mir zurück. Haben Sie einen Schlüssel zur Wohnung Ihrer Mutter?“
    „Ja“, sagte sie erleichtert.
    „Gut. Dann können Sie ja dort übernachten. Vielleicht finden wir auch irgendwelche Hinweise. Was die Polizei braucht, um der Sache offiziell nachgehen zu können, ist eine Vermißtenanzeige. Die können Sie ihr geben. Und lassen Sie nicht den Kopf hängen, es kann alles ganz harmlos sein.“
    Aber daran glaubte ich nicht mehr. Das Mädchen hingegen war mir dankbar für meinen Optimismus und besonders dafür, daß sie nun ihre Aufregung und Ungewißheit durch zielbewußtes Handeln verdrängen konnte.
    Während sie sich umzog und ein paar Dinge für die Nacht zusammenpackte, starrte ich durch das Fenster auf das Moor hinaus, dessen wäßrige Flächen im Mondlicht schimmerten. Es sah wie ein fleckiges Leichentuch in der Dunkelheit aus, und ich schauderte. Wie konnte man hier wohnen? Hier mußten selbst Philosophen abergläubisch werden.
    Als ich mich umwandte, stand das Mädchen in der Tür. Sie hatte sich umgekleidet. Sie sah süß aus in dem gelben, ärmellosen Kleid. Blaß sah sie mich an.
    „Das wird zu kühl sein“, warnte ich.
    „Der Schlüssel ist nicht da“, sagte sie.
    „Nicht schlimm“, meinte ich. „Der Hausmeister wird Sie reinlassen. Er hat einen.“
    „Aber er müßte hier sein. Niemand braucht ihn.“
    Ich dachte flüchtig an das blonde Mädchen. Wenn es sich als Wilma ausgegeben hatte – war sie vielleicht auch hier gewesen und hatte den Schlüssel? Nein, ich phantasierte wahrscheinlich. Aber andererseits, wenn das Mädchen in der Buchhandlung etwas gesucht hatte!
    Ich würgte den Gedanken ab. Es war nutzlose Grübelei. Ich besaß keinerlei Anhaltspunkte für auch nur annähernd logische Schlußfolgerungen. Bis jetzt war alles höchst seltsam. Aber nicht mehr. Und ich fragte mich, ob ich nicht die Finger von allem lassen sollte. Schließlich ging es mich nichts an. Ich verbohrte mich da in eine Sache, deren Klärung eine Menge Zeit kosten und mich in Schwierigkeiten bringen würde. Und schuld war wieder einmal nur meine verdammte Neugier und meine zügellose Phantasie.
    Aber diese brennende Frau war schon ein paar Überlegungen wert!
    Und das blonde Mädchen, das seit Jahren tot war. nicht minder.
    Dann sah ich das Mädchen vor mir an, Gisela, und wußte, daß es noch einen Grund gab, an der Sache dranzubleiben.
    „Kommen Sie“, sagte ich. „Der Schlüssel ist nicht wichtig.“
    Sie zögerte einen Augenblick. Dann nickte sie. „Ja, Sie haben recht. Fahren wir.“
     

     
    Der Hausmeister war noch wach. Und er machte einen ziemlich aufgeregten Eindruck. Er schien erleichtert, uns zu sehen, sogar mich. Gisela kannte er ja, nicht nur vom Foto her. Sie war schon einmal hiergewesen.
    „Oh, guten Abend, Fräulein Kurtz. Ich bin sehr froh, daß Sie kommen. Ich habe schon vor einer Stunde versucht, Sie anzurufen.“
    „Da waren wir wohl bereits unterwegs“, erklärte ich. „Was ist geschehen? Sie sehen reichlich blaß aus.“
    „Ja, Sie haben recht, es ist etwas geschehen. Ich habe Ihnen unrecht getan.“
    „Unrecht?“ fragte ich verständnislos, während er das Tor hinter uns abschloß.
    „Ja, Herr Fischer. Ich hielt Sie für einen Dieb, der sich hier einschleichen wollte. Ich war mir ganz sicher, als Sie behaupteten, Sie hätten die Schwester von Fräulein Gisela gesehen!“
    „Wilma?“ fragte das Mädchen betroffen.
    Der Hausmeister beachtete sie gar nicht. Die Erinnerung schien in ihm lebendig zu werden, während er sprach. „Ich habe sie auch
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