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04_Es ist was Faul

04_Es ist was Faul

Titel: 04_Es ist was Faul
Autoren: Jasper Fforde
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ungewöhnlich, als sich besonders die
    Hauptfiguren der Belletristik zunehmend für ihre Wahrnehmung in der Öffentlichkeit interessierten, aber meist beschränkte sich dieses Image-Bewusstsein auf die BuchWelt, und der
    GattungsRat versuchte diese psychologischen Probleme so weit
    wie möglich zu ignorieren. Aber da Hamlet nun einmal der
    absolute Star des Shakespear'schen Werks war und in diesem
    Jahr erneut seinem Erzrivalen Heathcliff den BuchWeltPreis für
    den besten Schwierigen Liebhaber hatte überlassen müssen, war
    der GattungsRat zu der Überzeugung gelangt, man müsse ihm
    etwas Gutes tun. Außerdem hatte Jurisfiktion ihn schon seit
    Monaten vergeblich als Agenten für den Bereich Elisabethanisches Drama anzuwerben versucht, weil sich Falstaff aus »gesundheitlichen Gründen« vom Dienst verabschiedet hatte. Die
    Reise ins Außenland, dachte man, könnte ihm die Sache vielleicht irgendwie schmackhafter machen.
    »'s ist eigenartig!«, murmelte er und starrte abwechselnd die
    Sonne, die Bäume, die Häuser und den Verkehr an. »Man
    brauchte eine Rhapsodie von wirblicht wilden Worten, um all
    das zu beschreiben, was ich hier erblicke!«
    »Sie werden Englisch reden müssen, da draußen.«
    »All dies«, erklärte Hamlet und wedelte mit der Hand in
    Richtung der unscheinbaren Vorortstraße, »bedürfte etlicher
    Millionen Worte, um richtig wiedergegeben zu werden.«
    »Sie haben recht«, sagte ich. »Aber das ist ja gerade der
    Charme der literarischen ÜbertragungsTechnologie. Ein halbes
    Dutzend Wörter genügt, um ein Bild heraufzubeschwören.
    Wenn man ehrlich ist, muss man zugeben, dass der Leser die
    Arbeit fast gänzlich allein macht.«
    »Der Leser? Was hat denn der damit zu tun?«
    »Nun, jede Interpretation eines Ereignisses, eines Schauplatzes oder einer Figur in der BuchWelt hängt von den Erfahrungen ab, die der Leser an die Beschreibung derselben heranträgt.
    Sie ist in jedem Fall einzigartig und unverwechselbar, denn der
    Leser oder die Leserin bekleiden diese Beschreibung mit der
    Erinnerung an das, was sie selbst schon erlebt haben. Jede Figur,
    die ihnen in der Literatur begegnet, wird so zu einer Mischung
    aus Personen, die sie aus der Wirklichkeit oder aus anderen
    Werken schon kennen. Erst dadurch gewinnen sie ihre Realität.
    Die bloßen Buchstaben auf der Seite allein könnten das gar
    nicht leisten. Und weil jeder Leser unterschiedliche Erfahrungen hat, ist jedes Buch einzigartig für jeden Leser.«
    »Das heißt aber auch«, sagte der Däne und dachte angestrengt nach, »dass eine komplexe und scheinbar widersprüchliche Figur und ein komplexer und widersprüchlicher Leser eine
    größere Anzahl von Interpretationen hervorbringen als schlichte Naturen, nicht wahr?«
    »Aber ja. Ich würde sogar behaupten, dass ein Buch jedes
    Mal anders und neu ist, wenn man es neu liest. Die Erfahrungen, die man gemacht hat, haben sich nämlich verändert – oder
    man ist ganz einfach in anderer Stimmung.«
    »Das erklärt natürlich, warum mich niemand versteht. Selbst
    nach vierhundert Jahren weiß immer noch keiner, was mich
    eigentlich antreibt.« Er unterbrach sich und seufzte gedankenschwer. »Und das gilt leider auch für mich selbst. Man könnte
    denken, ich wäre gläubig, nicht wahr? Weil ich zum Beispiel
    meinen Onkel nicht abstechen will, während er betet und so.«
    »Natürlich.«
    »Das dachte ich auch lange. Aber warum sag ich dann solche
    atheistischen Sachen wie: An sich ist nichts gut oder böse, das
    Denken macht es erst dazu!«
    »Soll das heißen, Sie wissen es nicht?«
    »Hören Sie, ich bin genauso ahnungslos wie alle anderen.«
    Ich starrte Hamlet verblüfft an, und er zuckte die Achseln.
    Ich hatte gehofft, ich würde etwas über die Widersprüche in
    seinem Stück von ihm erfahren, aber jetzt war ich mir gar nicht
    mehr sicher.
    »Vielleicht mögen wir das Stück deshalb«, sagte ich schließlich. »Jedem seinen eigenen Hamlet.«
    »Na ja«, schnaubte der Däne unglücklich. »Mir ist es ein Rätsel. Glauben Sie, dass eine Therapie helfen würde?«
    »Da habe ich ernsthafte Zweifel. Hören Sie, wir sind jetzt fast
    zu Hause. Denken Sie dran: Für alle außerhalb der Familie sind
    Sie … Wer sind Sie ?«
    »Ihr Cousin Eddie.«
    »Sehr gut. Kommen Sie!«
    Das Haus meiner Mutter in Swindon war von einem großen
    Garten umgeben, aber lediglich meine enge Verbundenheit mit
    dem Anwesen verlieh ihm seine emotionale Bedeutung. Ich
    hatte hier meine ersten achtzehn
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