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039 - Vor der Tür stand Frankenstein

039 - Vor der Tür stand Frankenstein

Titel: 039 - Vor der Tür stand Frankenstein
Autoren: Larry Brent
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sich noch nie so unwohl gefühlt wie in dieser Nacht.
    Da hörte sie Schritte draußen vor dem Haus.
    »Jean?«, wisperte sie. Doch die Schritte entfernten sich. Es waren feste,
dumpfe. Jean lief eher rasch, leichter, federnder.
    Ihr Herz schlug schneller, und das Blut in ihren Schläfen hämmerte. Sie
verließ das Bett und warf den leichten Morgenmantel über ihre makellosen
Schultern. Ihr dichtes langes Haar schimmerte wie Gold. Die Stille bedrückte
sie.
    »Jean?« Sie erschrak vor ihrer eigenen Stimme, die viel lauter klang, als
sie beabsichtigte.
    Minuten vergingen.
    Warum kam Jean nicht zurück?
    Als sich auch nach einer weiteren Viertelstunde nichts rührte, bekam sie es
mit der Angst zu tun.
    Sie eilte zur Haustür, schaltete aber kein Licht an. Wie gerne hätte sie
telefonisch einen Knecht aus dem Dorf herbeigerufen, damit der nach dem Rechten
sah. Doch es gab kein Telefon im Haus. Jean Dumont hatte sich bisher mit Erfolg
gegen diese Neuerung gewehrt. Er war kein großer Menschenfreund, seine Liebe
beschränkte sich auf seine Arbeit, auf die Natur – und auf Nicole, die er bald
heiraten wollte.
    Er beabsichtigte, den alten Bauernhof – der zu den ältesten in dieser
Gegend zählte – zu einer Touristenattraktion zu machen. Je mehr
Altertümlichkeit er aufwies, desto besser. Die einzigen Neuerungen, die er
hatte durchgehen lassen, waren die Wasserleitung und die Stromversorgung.
    Von dem Holzstoß neben dem Haus ergriff sie einen Klotz und fühlte sich
damit etwas sicherer. Langsam näherte sich Nicole den Stallungen und ging durch
die Tür, hinter der die Schweine untergebracht waren. Von dort waren die
meisten Geräusche gekommen.
    Ohne zu überlegen schaltete sie die Stalllampen ein. Gelbliches Licht
vertrieb schlagartig die Finsternis, und sie sah die immer noch aufgeregten
Tiere hinter dem Gatter. Leise schrie sie auf, als sie die Reste des
zerrissenen Schweines auf dem Boden entdeckte. Fassungslos folgte sie der
ausgeprägten Blutspur und entdeckte Kratzer und Scharten auf dem Boden, das
zersplitterte Gatter, sowie ein Büschel schwarzer, blutiger Haare.
    Angst schnürte ihr die Kehle zu.
    Haare von – Jean?
    Die junge Frau schrie, dass es schaurig durch die Stallungen hallte. Dann
rannte sie los, als ob der Satan sie verfolge.
    Sie wagte nicht, in das Wohnhaus zurückzukehren. Der Gedanke daran, hier
allein zu sein, versetzte sie in Panik. Jean – was war aus Jean geworden? Warum
hatte er sich nicht mehr gemeldet?
    Sie schob den großen hölzernen Bolzen zur Seite, der das Tor in der
Umzäunung verschlossen hielt, rannte hinaus in die Nacht, noch immer krampfhaft
das Holzteil umklammernd – Richtung Dorfstraße. Die nächste Ortschaft, in der
dreihundertfünfzig Einwohner lebten, lag gut sechs Kilometer entfernt.
    Nicole warf keinen Blick zurück. Keine zehn Pferde hätten sie mehr dazu
gebracht, noch einmal in das alte Bauernhaus zurückzukehren.
     
    ●
     
    Hinter der mächtigen Eiche, unmittelbar vor dem Eingangstor zum Grundstück,
bewegte sich ein Schatten. Die Umrisse eines Kopfes wurden sichtbar. Es war
Jean Dumont! Er starrte Nicole nach, und kein Laut, kein Ruf kam über seine
Lippen.
    Ihre Gestalt wurde kleiner und verschwand wie eine Spukerscheinung zwischen
den dichtstehenden Stämmen des umliegenden Waldes, der sich bis auf den Hügel
hinaufzog.
    Jean schien die Frau, die soeben seinen Hof verlassen hatte, nicht zu
kennen. Sie war eine Fremde für ihn. Eine, die er niemals berührt, niemals
geküsst hatte, eine, die nicht das Bett mit ihm geteilt hatte.
    Mit einer fahrigen Bewegung wischte er den Schweiß und das Blut von seinem
entstellten Gesicht. Seine Haut strömte einen widerlichen, abscheulichen Geruch
aus.
    Es war ätzender Schwefel.
     
    ●
     
    Nicole erreichte ungeschoren die Ortschaft. Die Gendarmerie war ihr Ziel.
Der Polizist, zugleich Oberhaupt der winzigen Gemeinde, nahm ihre Meldung
entgegen und benachrichtigte umgehend die Kollegen in der nächsten Ortschaft.
    Kommissar Lucell fuhr im Morgengrauen mit seinem Stab los, um auf dem
einsamen Bauernhof nach dem Rechten zu sehen. Nicole Mercier, die man
inzwischen aus der Nachbarschaft notdürftig mit Kleidern versorgt hatte, saß an
seiner Seite und gab kurz und knapp einen Bericht der Situation.
    »Das ist nicht viel«, meinte der Kommissar schließlich. Er hatte sie nicht
ein einziges Mal unterbrochen und er hielt es – zu diesem Zeitpunkt jedenfalls
– nicht für nötig, weitere Fragen zu stellen. Es war zu
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