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0327 - Wer die Blutfrau lockt

0327 - Wer die Blutfrau lockt

Titel: 0327 - Wer die Blutfrau lockt
Autoren: Rolf Michael
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Standbild der Isis herabriß, weil er darunter die »Wahrheit« vermutete - wie Christoph Columbus in den unendlich erscheinenden westlichen Ozean fuhr, wie heutige Wissenschaftler mit Bakterien und Atomen experimentieren, wie man kleine Raumkapseln ins All hinausschießt - so versucht der Mensch immer wieder zu ergründen, welches die letzten Geheimnisse der Weltschöpfung sind. Zu allen Zeiten versuchten Menschen ernsthaft, den Teufel von Angesicht zu Angesicht zu erschauen, und Alistair Crowley, der letzte der großen Höllenmagier, hat niemals erzählt, warum er die große Beschwörung LUZIFERS mit allen Anzeichen des Entsetzens abgebrochen hat.
    Auch andere Wissende, die versuchten, die Dämonen des Abramelin zu beschwören, brachen mit allen Anzeichen des Entsetzens den Versuch ab, weil sie Dinge sahen, die ihre menschliche Vorstellungskraft überstiegen. Der Nachfolger Crowleys als Großmeister des »Orientalischen Tempelordens« der im Jahr 1947 sich mit seiner Frau ebenfalls an diesem Ritual versuchte, beging an den Nachwirkungen der abgebrochenen Beschwörung mit ihr zusammen in geistiger Umnachtung Selbstmord. Das Schicksal des Dr. C. H. Petersen sollte für jeden selbsternannten Teufelsbeschwörer Abschreckung genug sein -und das Schicksal vieler Ungenannter ebenfalls. Wer immer auch nur mit den Gedanken spielt, den Schleier der Unbekannten zur Jenseits weit oder gar zur Hölle zu lüften - er verbanne diesen Gedanken in die tiefsten Abgründe seiner Seele zurück. Der Mensch ist der List und den Fallstricken des ewigen Versuchers nicht gewachsen.
    Die Gothics hatten mehrfach spritistische Sitzungen mit »Tischrücken« gemacht, und Entsetzen packte sie, als sich der Tisch tatsächlich bewegte. Aber dabei besteht keine große Gefahr - denn die Geister, die unsichtbar und unbekannt um uns schweben, werden nicht gezwungen, zu erscheinen oder ihre Existenz kund zu tun, sondern es wird ihnen frei gestellt. Bei einer richtigen Totenbeschwörung jedoch kann es geschehen, daß der Nekromant den Geist des Toten, den er aus der Nacht des Grabes hervorzwingt, in seinem Leben nicht mehr loswird und dieser ihn in den Wahnsinn treibt.
    Die Hexenscheibe, die von den Gothics nach alten Rezepten aus dem Mittelalter hergestellt wurde, zeigte dagegen Wirkung. Bei den sinnesverwirrenden Zutaten für einen medizinisch vorgebildeten Menschen kein Wunder. Eine Salbe aus Fett und den Essenzen von Nachtschattengewächsen und Tollkirschen auf den Hals und die Pulsadern gestrichen, ruft einen eigenartigen Rauschzustand hervor, der sogar einen Flug auf einem Besen vortäuscht. Für die Gothics gab es nichts Größeres, als im Banne dieser Hexensalbe an einem uralten Grabstein zu lehnen und über den Kopfhörer eines Walkman die Musik von Rock-Gruppen wie »Cure«, »Sisters of Mercy« oder »Flash for Lulu« zu hören.
    Heute aber war alles anders. Unter den Ranken eines uralten Gestrüpps hatte Ratta, die siebzehnjährige Friseuse, die nebenher die Schock-Frisuren ihrer Kreunde herstellte, eine kaum sichtbare Tür entdeckt.
    Türen führen irgendwo hin. Und das wollten die Gothics jetzt ergründen. Sie trafen sich in der Szene-Kneipe der Gothics im Herzen von London. Batca- ve-Fledermauskeller, hieß sie. Von hier fuhren sie mit der Londoner U-Bahn wie üblich zu diesem uralten Friedhof im Nordwesten der Stadt. An ihrem Outfit nahm hier in dieser Metropole niemand Anstoß. Man war die absonderlichste Kleidung, die eigenartigste Schminkung des Gesichts und die ausgefallendste Frisur gewohnt, und die Treffs der Punks am Trafalgar Square oder am Piccadilly-Circus waren oft genug lohnende Fotoobjekte für Touristen.
    Sie trugen alle nachtfarbene Kleidung, mit selbstgemachten Umhängen. Dazu Ketten und Armbänder und Medallions mit okkulten Symbolen. Die Gesichter waren in bleicher Totenfarbe geschminkt und die Augen und Lippen schwarz betont und unnatürlich hervorgehoben. Die Haare waren steil nach oben toupiert. Auf einem Friedhof gleichen sie eher einer Schar Grabgespenster als lebendigen Wesen. Und das war auch der Sinn des Ganzen.
    Der Anführer nannte sich »Judas«, obwohl er sonst wie alle anderen Gothics einen bürgerlichen Namen hatte. Er ging voran, und das Windlicht in seiner Hand hellte die Konturen der Wege und die Grabsteine noch mehr auf.
    Ratta ging hinter ihm und versuchte sich zu erinnern, wo sie heute am Tag den geheimnisvollen Eingang gefunden hatte. Ihr folgte Joe, der als Stahlschlosser einen kleinen
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