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0325 - Die Loge der Henker

0325 - Die Loge der Henker

Titel: 0325 - Die Loge der Henker
Autoren: Rolf Michael
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registrierte sie, daß die bellenden und jaulenden Geräusche der Wölfe ihr nicht folgten.
    Irgendwann stand sie mitten in der Ortschaft. Die rohe, an den Stamm eines verkrüppelten Baumes genagelte Tafel, auf der in ungelenken Buchstaben der Name »Estradas« geschrieben stand, hatte sie in der Dunkelheit übersehen.
    Der Ort wirkte wie ausgestorben. Eine Geisterstadt.
    Verzweifelt lief Dagmar Holler zwischen den Häusern umher.
    Überall klopfte sie an die Türen. Keine öffnete sich. Aber das Mädchen aus Deutschland erkannte nach einiger Zeit, daß sich hinter den Scheiben der kleinen Fenster die Vorhänge leicht bewegten.
    Estradas war bewohnt – aber die Bevölkerung wagte es nicht, die Türen zu öffnen. Als ob sie ein Geist wäre, der hier im Mondlicht die Namen der Menschen schreit, über denen der Schatten des Todes schwebt.
    Dagmar Holler lief zu dem Platz mit dem altertümlichen Ziehbrunnen, um den sich die meisten Häuser gruppierten und der den Mittelpunkt von Estradas bildete.
    »Hilfe! Aufmachen!« rief sie laut in spanischer Sprache. »Ich bin fremd hier. Aus Deutschland. Mein Auto ist kaputt. Kann mich jemand in dieser Nacht aufnehmen? Ich bezahle dafür… sehr gut sogar!« Sie zog einige Geldscheine aus ihrer Tasche und hielt sie empor. Jeder Bewohner des Ortes mußte sie im fahlhellen Mondlicht sehen.
    Dagmar Holler blickte um sich. Keine Tür tat sich auf.
    Dagegen vernahm sie plötzlich ganz in der Nähe das Hungergeheul eines Wolfes. Eine der Bestien mußte ihrer Spur gefolgt sein und Estradas umschleichen. Dagmar Holler mußte sich zwingen, den Weg, den sie gekommen war, zurückzublicken. Ihre klugen, dunklen Augen sahen in die Nacht.
    Erst war es wie ein Schatten. Eine Bewegung aus dem Nichts. Es hatte keine Gestalt. Aber es war da und existierte. Man sah es nicht – aber man spürte es – das Böse, das langsam aber stetig heranschlich.
    Alles in dem Girl aus Deutschland krampfte sich zusammen. Sie spürte, daß sie keine Chance hatte, sich gegen das Wesen, das dort ihrer Spur folgte, erfolgreich zu wehren.
    »Hilfe! Aufmachen! Da ist was… und das will mich!« stieß Dagmar mit abgehackten Sätzen hervor. »Verdammt noch mal, seid ihr denn zu feige, um mir die Tür zu öffnen?« In ihrer Verzweiflung benutzte sie ihre eigene Sprache während sie spürte, daß sich das Grauen aus der Nacht unaufhaltsam näher schlich. Schon glaubte sie, Konturen erkennen zu können.
    Einen gigantischen Körper, der jedes menschliche Maß sprengte.
    Und den Schädel eines Ungeheuers.
    Und dann vernahm sie den gräßlichen Laut in der Nacht. Das Heulen eines Wolfes. Aber irgendwie anders. Viel intensiver und lauter.
    Im gleichen Moment ertönte aus der Richtung der Cantina ein leiser Ruf. Dagmar wirbelte herum und sah, daß eine kleine Seitentür sich um einen Spaltbreit öffnete.
    »Hierher, Señorita! Kommen Sie! Hier herein!« erklang die Stimme wieder. Ohne sich zu besinnen, lief Dagmar hinüber.
    »Juan! Caramba! Bist du des Teufels…!« hörte sie eine Stimme von oben aus dem Haus. Aber da hatte sie die Tür bereits erreicht.
    Eine starke Hand zog sie nach drinnen. Im Schein einer blakenden Petroleumlampe erkannte sie einen jungen Mann, der ungefähr ihr Alter hatte.
    »Buenos tardes, Signorina!« sagte er mit melodischer Stimme. »Ich bin Juan, der Sohn von Rodrigo Munilla, dem diese Cantina gehört. Auf so späte Gäste sind wir nicht eingerichtet…!«
    »Ich habe so laut gerufen, daß dieser ganze Ort es gehört haben muß!« sagte Dagmar schwer atmend. »Alle haben mich gesehen. Aber niemand hat es gewagt, aufzumachen!«
    »Es ist Vollmond!« sagte Juan leise. »Wolfsmond. In einer solchen Nacht bieten auch unsere Häuser nur eine unzureichende Zuflucht. Nur die kleine Kapelle ist sicher vor dem Grauen, was dort draußen sein Wesen treibt!«
    »Ich habe etwas gesehen!« stieß Dagmar hervor. »Da ist was… irgend etwas!«
    »Ich weiß!« nickte Juan. »Jeder hier in Estradas weiß, daß in den Vollmondnächten die Legionen des Satan umherschweifen. Der volle Mond gibt ihnen die Kraft zu ihrem unheiligen Leben. Jetzt kommen Sie, bitte. Mein Vater hat eben gerufen, und er ist in Sorge.«
    »Denkt er vielleicht, ich könnte der Werwolf sein, der dort drau- ßen umgeht?« fragte Dagmar. »Sehe ich so aus?«
    »Das Böse hat viele Gesichter. So jedenfalls sagt meine Mutter immer!« erklärte Juan. »Und Padre Domingo sagt, daß der Teufel selbst in der Gestalt eines feinen Herrn zu erscheinen
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