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0264 - Nachts, wenn der Wahnsinn kommt

0264 - Nachts, wenn der Wahnsinn kommt

Titel: 0264 - Nachts, wenn der Wahnsinn kommt
Autoren: Jason Dark
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verschwunden ist.«
    Die anderen Mädchen hörten dem Disput der beiden staunend zu. Es kam so gut wie überhaupt nicht vor, daß jemand Widerspruch einlegte.
    Und schon gar nicht bei der Propow. Carla riskierte viel, wenn sie so etwas tat, und die Schülerinnen waren gespannt, wie die Auseinandersetzung weiterging.
    Die Propow lachte hart und trocken auf. »Natürlich hatte sie einen Grund. Sie ist ›abberufen‹ worden.«
    »Von wem?«
    »Ihre Eltern holten sie.«
    Die möchte ich anrufen. Carla hätte den Satz fast hervorgestoßen, verschluckte ihn jedoch und lenkte ein. »Na, wenn das so ist, dann kann man nichts machen.«
    »Sehr richtig, Carla, da kann man nichts machen.« Ein schmales Lächeln huschte für einen Moment um die strichdünnen Lippen der Frau, bevor sie den Kopf hob und ihre Blicke über die Reihe der Schülerinnen gleiten ließ. »So, es ist genug geredet worden. Wir werden den Tag so beginnen wie immer. Gymnastik.«
    Hier sagte man noch Gymnastik, nicht Aerobic.
    Eine Viertelstunde war vor dem Frühstück eingeplant, damit der Körper in Schwung kam.
    Die Propow nahm am Flügel Platz. Sie saß auf dem runden Klavierhocker wie eine Statue. Kalt, unnahbar wirkte sie, wie eine Erzieherin aus dem letzten Jahrhundert. Auf die Tasten brauchte sie nicht zu schauen. Sie blickte über den Flügel hinweg, während sie die ersten Töne anschlug, und jedes Mädchen hatte das Gefühl, als würde die Frau nur allein es ansehen.
    Es begann mit Lockerungsübungen. Zwischen den Rhythmen erklangen die harten Anweisungen der Frau. Sie glichen Befehlen, und die Mädchen folgten ihnen.
    Auch Carla bewegte ihren Körper. Sie tat dies automatisch. Die Übungen waren jeden Morgen die gleichen. Die kannte sie auswendig und wußte immer, was kam.
    Ihre Gedanken jedoch drehten sich um das Verschwinden der Freundin.
    Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, daß Franca so ohne weiteres die Schule verlassen hatte. Das glich schon einer Flucht, und sie hätte ihr zumindest etwas davon berichtet.
    Carla Bergamo war fest davon überzeugt, daß ihrer Freundin etwas zugestoßen sein mußte. Überhaupt empfand sie diese Schule als nicht normal. Von den strengen Richtlinien und der militärischen Ordnung wollte sie einmal absehen. Beides mußte manchmal sein, denn es war nicht leicht, 20 Mädchen zu beaufsichtigen, aber es gab noch andere Dinge, die sie störten.
    Die verschlossenen Räume, zum Beispiel.
    Im Keller der Schule war es besonders schlimm. Da durfte nur ein bestimmter Trakt betreten werden, andere Räume waren tabu und auch immer abgeschlossen.
    Es kursierten natürlich Gerüchte. Man sprach von unheimlichen Dingen, die hinter den alten Grundmauern des Gebäudes versteckt lagen, doch niemand wußte so recht, was da tatsächlich war.
    Es war eben noch keiner dagewesen.
    Vielleicht Franca? Carla Bergamo konnte sich gut vorstellen, daß ihre Freundin von der Neugierde gepackt worden war und nachschauen wollte.
    »Und…Schluß!« rief die Propow. Ihre Stimme unterbrach die Gedankenkette des jungen Mädchens.
    Die Schülerinnen richteten sich wieder auf. Schwitzend und heftig atmend standen sie auf dem Fleck, bogen ihre Körper durch und holten tief Luft.
    Die Propow erhob sich vom Hocker. Neben dem Flügel blieb sie stehen, einen Arm locker an der linken Seite herabhängend. Mit dem anderen stützte sie sich auf dem Musikinstrument ab. »Das war's dann«, sagte sie. »In einer Stunde beginnt das Training. Bis dahin könnt ihr frühstücken und euch erholen.«
    Die Mädchen nickten. In Zweierreihen verließen sie den Saal, wobei manche Blicke zu Boden gerichtet waren.
    Auch Carla schaute die Frau nicht an. Sie hatte sich jedoch einen Plan zurechtgelegt, den sie unbedingt durchführen wollte.
    Der Frühstücksraum lag nicht weit vom Ballettsaal entfernt. Es war bereits gedeckt. Frauen aus dem Dorf hatten diese Arbeit übernommen.
    Sie waren auch für die Putzerei und für die Verpflegung der Mädchen verantwortlich. Es gab Trinkschokolade und frische Milch. Dazu Brot, Butter, Konfitüre. Keine Wurst oder Käse.
    Die Mädchen sprachen nicht. Jedes wußte, wohin es sich zu setzen hatte. Die Stimmung während des Frühstücks war nie besonders gut. An diesem Morgen jedoch empfand jede sie als bedrückend. Das plötzliche Verschwinden einer Schülerin beschäftigte doch die meisten. Zudem hielt sich auch die Propow im Frühstücksraum auf. Das tat sie nur selten.
    Sie kam den Schülerinnen wie eine Überwachungsperson vor,
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